
Kurz vor Ostern zog die AfD mit der Union in den Umfragen gleich. Kurz nach Ostern überholte die AfD (26 Prozent) die Union (25 Prozent) in einer Forsa-Umfrage für RTL/n-tv. Ein Raunen ging durch den Medienwald, Meldungen machten die Runde, dann zog wieder Ruhe ein in der politischen Osterpause. Papst-Begräbnis und das irgendwie geheimnisvolle Konklave verdrängten die Rangfolge im Parteiengefüge wieder aus den Schlagzeilen.
In der Union gilt weg-schweigen ohnehin als probate Methode zur Krisenbewältigung, und in vielen Medien steht man ohnehin ratlos vor dem Phänomen AfD, das es in den Augen vieler Kommentatoren eigentlich gar nicht geben dürfte. Eine Partei, die als Wiedergänger der Hitleristen gilt, eigentlich längst verboten gehört und in einen seltsamen Bereich des politisch und demokratisch nicht Zulässigen verbannt wird, kann unmöglich die Pole-Position in den Umfragen einnehmen. Wobei die Werte der AfD im Osten, die nicht selten an der Grenze zur absoluten Mehrheit rangieren, meist sogar noch ausgeblendet wird.
Dabei kommt der Absturz der Union keineswegs überraschend, sondern gewissermaßen mit Ansage. Es war die Union selbst, die im Wahlkampf korrekt analysierte, dass große Teile der Deutschen nicht nur mit der Ampel unzufrieden waren, sondern ganz grundsätzlich einen „Politikwechsel“ in Stil und Inhalt wünschten. Genau deshalb formulierte Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) so drastisch, dass er am ersten Tag seiner Kanzlerschaft per Richtlinienkompetenz gewissermaßen die Grenzen schließen werde. Genau deshalb wollte man das Heizungsgesetz „abschaffen“ und erklärte Robert Habeck zum unfähigsten Wirtschaftsminister der Nachkriegsgeschichte.
Friedrich Merz am Adenauer-Haus: kein „Politikwechsel“ in Sicht.
Genau deshalb sollte die Cannabis-Legalisierung wieder rückgängig gemacht werden. Mit jeder Faser ihrer Wahlkämpfer signalisierte die Union, dass sie verstanden habe, dass sie den linken Zeitgeist zurückdrehen, keine Schulden machen, sondern wieder „Wohlstand schaffen werde. Wenn es keinen Partner für eine andere Migrationspolitik“ gebe, sagte CDU-Generalsekretär nach dem Anschlag von Aschaffenburg, dann gebe es halt keine Regierung. Und die heutige Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) erklärte in einem später gelöschten Tweet sogar, wer den Wechsel wolle, brauche nicht AfD zu wählen. Dafür gebe es doch die Union.
Die Union als AfD-Ersatz? Eher nicht. Was sich jetzt in den Umfragen niederschlägt, ist die Enttäuschung über das Ausbleiben der von der Union selbst geweckten und mit heiligen Eiden beschworene Erwartung eines Politikwechsels. Dabei hatten die Strategen der Union zur Beglaubigung ihrer Entschlossenheit auch zutreffend geraunt, dass dies „die letzte Patrone“ der Volksparteien CDU und CSU sei, wenn man nicht spätestens 2029 von der AfD überholt und in den Senkel gestellt werden wolle. So lange wollen die von Milliarden-Schulden, zaghafter Migrationswende und auftrumpfender SPD gänzlich desillusionierten Konservativen allerdings nicht warten und geben ihren Frust postwendend schon jetzt zu Umfrage-Protokoll.
Die Union hat mit diesem Koalitionsvertrag im Wissen um die Erwartungen draußen im Land die Lieferung verweigert und zu allem Überfluss die Methode Merkel auch noch kopiert, mit der CDU/CSU in den zurückliegenden Jahren immer schwächer geworden sind: Man schreibt faule Kompromisse in den Text, die beide Seiten als Sieg verkaufen können und die am Ende nur teuren Stillstand produzieren, wo Deutschlands Abstieg bereits heraufdämmert. Sich ausgerechnet von der SPD, die noch heftiger abgestraft wurde, die Sozialreformen aus der Hand nehmen und üppige Mindestlohn-Erhöhungen ins Stammbuch schreiben zu lassen, ist ebenfalls nicht wirklich logisch.
Der Kern des Problems liegt allerdings tiefer und etliche Monate, wenn nicht Jahre zurück: Durch die Brandmauer-Politik und den Verzicht auf eine maßvolle Zähmung der AfD hat sich die Union jegliche Druckposition in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD genommen und zum nahezu willenlosen Kumpanen um der Macht willen gemacht. Die neuen Umfragen, die übrigens nicht die Stärke der AfD widerspiegeln, sondern die Schwäche der Union, schweißen die Koalitionäre nun noch enger auf Gedeih und Verderben zusammen. Wer zur Durchsetzung eigener Ziele mit dem Bruch des Bündnisses droht, dem droht der eigene Absturz.
Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags konnten Klingbeil und Merz noch lachen. Fragt sich nur: Wie lange noch?
Eine Strategie gegen dieses Schachmatt in der Regierung hat auch die Union nicht. Hört man sich in den Reihen von CDU und CSU um, so hofft die Parteispitze auf einen Amtsbonus, den sich Friedrich Merz trotz seiner mäßigen Beliebtheitswerte irgendwie erarbeiten werde. Man hofft auf eine Erholung der Konjunktur, die zumindest in der jüngsten Wirtschaftsprognose für dieses Jahr noch nicht sichtbar ist und darauf, dass die Wähler das Bedrohungsgefühl durch Donald Trump auf der einen und Wladimir Putin auf der anderen Seite teilen und sich deshalb hinter ihrer Regierung versammeln. Auch dieser Effekt ist bislang nicht zu erkennen.
Prinzip Hoffnung statt Politikwechsel. Gebrochene Wahlversprechen statt kraftvollem Neustart. Große Teile des Zuwachses der AfD kommen ausweislich der Umfragen von Union. Der Wähler will sich einfach nicht an die Brandmauer halten.