Bundesbehörde für Datenschutz sieht „Grundrechtseingriff“: Union und SPD wollen Schüler nummerieren

vor 21 Tagen

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Bildquelle: NiUS

Schüler sollen künftig eine Identifikationsnummer (ID) zugeteilt bekommen, unter der Informationen zur schulischen Laufbahn sowie persönliche Daten gespeichert werden. Union und SPD wollen das Projekt, das in der Vergangenheit immer wieder an Datenschutz-Bedenken und zweifelhaftem Nutzen scheiterte, nun endgültig auf den Weg bringen.

In der Arbeitsgruppe Bildung einigte man sich bereits: Eine „zwischen den Ländern kompatible, datenschutzkonforme Schüler-ID“, die eine „Verknüpfung mit der Bürger-ID“ ermöglicht, soll bald schon Realität sein. Bereits in der Vergangenheit waren entsprechende Vorhaben in verschiedenen Bundesländern gescheitert.

Nun drängt Niedersachsen als erstes Bundesland wieder auf eine Einführung, Kultusministerin Julia Willie Hamburg macht sich für eine baldige Einführung der Nummerierung stark und auch das rheinland-pfälzische Kultusministerium bestätigt auf eine NIUS-Anfrage: „An diesem Thema wird gearbeitet“. Hessen und Hamburg planen hingegen bislang nicht, ihre Schüler zu nummerieren.

Julia Willie Hamburg, Niedersachsens grüne Kultusministerin, möchte die Schüler-ID endlich auf den Weg bringen.

NIUS fragte bei den Ländern außerdem nach: Welchen Nutzen erwarten Sie sich von der Erfassung der Schüler-Daten? Und: Welche Risiken sehen Sie?

Im Kultusministerium in Baden-Württemberg glaubt man: „Lehr- und Lernprozesse könnten effektiver beleuchtet und bezogen auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler weiterentwickelt werden.“ Ähnlich sieht man es auch in Rheinland-Pfalz: „Weil wir Kinder entlang der gesamten Bildungskette individuell und gezielt fördern wollen, brauchen wir eine entsprechende Datengrundlage.“ Auch aus Sachsen lautet die Antwort ähnlich: „Die Einführung von schulstatistischen Individualdaten bietet gegenüber dem Status quo den Vorteil der besseren Datenqualität. Die Bildungspolitik kann so wirkungsorientiert verbessert werden.“

Union und SPD wollen, dass jedes Kind mit der Einschulung oder bereits im Kindergarten eine persönliche Identifikationsnummer bekommt.

Doch was bedeutet das konkret? Bringt eine systematische Speicherung und Auswertung von Informationen über den Werdegang von Kindern und Jugendlichen wirklich Erkenntnisse, die bisher nicht durch die Lehrkräfte, die täglich mit den Schülern zusammenarbeiten, gewonnen werden können?

Bereits 2007 bezweifelte der damalige stellvertretende Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, Dr. Johann Bizer, im Zuge der Debatte um die Einführung einer Schüler-ID eben jenen Erkenntnisgewinn mit den Worten: „Im Ergebnis ist festzuhalten: Die Pläne und Regelungen zur Schüler-ID für Zwecke der Analyse von individuellen Bildungsverläufen sind verfassungsrechtlich hochproblematisch, weil sie für die Betroffenen erhebliche Risiken für ihre zukünftige Entwicklung bergen, ohne wirklich erforderlich zu sein. Qualitative Aussagen können von der empirischen Sozialforschung auch auf der Ebene von Stichproben getroffen werden.“

Heißt im Klartext: Die Bedenken, dass Schüler bereits früh in stigmatisierende Kategorien eingeteilt werden – und das bei gleichzeitig unklarem Nutzen der Maßnahme – überwogen damals.

Ähnlich äußert es ein Sprecher der Kultusministerkonferenz gegenüber NIUS: Die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen könne nur „durch die Lehrkräfte in der Schule ausgestaltet werden. Dies kann nur durch schulinternes Monitoring und eine direkte Interaktion zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten geschehen.“

Davon zu trennen sei allerdings die „Schüler-ID als möglicher Identifikator für eine einzurichtende Bildungsverlaufsstatistik“, die man befürworte.

Auf eine NIUS-Anfrage dazu, wie man das bislang noch wenig konkrete Projekt von Union und SPD aus datenschutzrechtlicher Sicht bewertet, antwortete ein Sprecher der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI): „Je mehr Daten erfasst werden, je sensibler diese Daten sind, je länger diese Daten gespeichert werden und je umfassender sie zu einer Profilbildung beitragen, desto tiefer ist der damit verbundene Grundrechtseingriff und desto höhere Anforderungen gelten für die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs.“

Außerdem sei zu berücksichtigen, dass im Datenschutzrecht der Schutz Minderjähriger als besonders vulnerabler Personengruppe einen hohen Stellenwert habe. Trotzdem hält man eine Einführung grundsätzlich für datenschutzrechtlich zulässig „schon weil eine solche ID dabei helfen kann, bislang fehlende Datengrundlagen zu erhalten, um dringend notwendige Erkenntnisse für die Modernisierung des Bildungssystems zu gewinnen.“

Die Gefahr, die die Erfassung von persönlichen Daten – auch in anonymisierter Form – mit sich bringt, liegt wie so oft auch in der kontinuierlichen, scheibchenweisen Ausweitung der Bereitschaft der Bürger, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, zu „einer Nummer“ zu werden. Denn zunächst sollen wohl nur sehr wenige Daten der Kinder gesammelt werden. Lediglich „anonymisiert“, lediglich für Monitoring-Zwecke.

Nach der Einführung der elektronischen Patientenakte, die seit Anfang des Jahres Gesundheitsdaten in elektronischer Form von allen Menschen, die nicht zuvor widersprochen haben, speichert, ist die Schüler-ID das nächste Projekt, das eine Entwicklung hin zum gläsernen Bürger weiter antreiben könnte.

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