
Am 2. Mai 2025 veröffentlichte das Bundesamt für Verfassungsschutz eine dürre Pressemeldung mit weitreichenden Folgen für das Selbstverständnis dieses Landes. Das Datum muss man sich merken, weil es den Abschied vom liberalen Rechtsstaat und den Übergang in einen autoritären Staat bedeuten kann. Dort heißt es mit schlichten Worten, die AfD werde „seit dem heutigen Tag aufgrund der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei als gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft.
Grundlage ist ein unter Verschluss gehaltenes Gutachten genanntes Elaborat. Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis sei „nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar“, so heißt es da. Es ziele „darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen, sie einer nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen und ihnen damit einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen.“ Nun soll es hier nicht primär um den vom Verfassungsschutz bemühten „ethnisch-abstammungsgemäßen Volksbegriff“ gehen.
Nach der Logik des Geheimdienstes war nämlich das bis zum Jahr 2000 geltende Staatsangehörigkeitsrecht rechtsextremistisch, weil es die deutsche Staatsangehörigkeit ausschließlich an der Abstammung orientierte. Diese Ausschließlichkeit des „ius sanguinis“ wurde damals mit guten Gründen kritisiert und schließlich in der ersten rot-grünen Koalition reformiert. Als Beleg kann man auf das Bundesinnenministerium hinweisen.
Es war allerdings bis zum Jahr 2000 niemand auf die Idee gekommen, dass bis dahin geltende Staatsangehörigkeitsrecht als „rechtsextremistisch“ einzustufen. Damit wären alle Bundeskanzler und die verantwortlichen Bundesinnenminister nachträglich wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen aus der Ahnengalerie deutscher Demokraten zu entfernen. Zudem regele jeder Staat, so das Innenministerium, “nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts und in dessen Grenzen selbst, wer seine Staatsangehörigen sind und ob und unter welchen Voraussetzungen seine Staatsangehörigkeit erworben wird oder verloren geht.“ Das ist sinnvoll, weil etwa das israelische Staatsangehörigkeitsrecht auf dem bis zum Jahr 2000 auch in Deutschland geltenden „ius sanguinis“ beruht.
Die politischen Ethnologen beim Verfassungsschutz können sich darüber bei der Bundeszentrale für politische Bildung informieren. Sie werden aber sicherlich darauf verzichten, Juden wegen ihres „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksverständnis“ als Verdachtsfall zu bewerten. Es ist auch keine Frage, dass sich aus der politischen Forderung nach einer Rückkehr zum alten Staatsbürgerschaftsrecht keine verfassungsfeindliche Gesinnung konstruieren ließe. Sie gäbe es nur dann, wenn das neu eingeführte Staatsangehörigkeitsrecht gleichzeitig den Entzug der Staatsangehörigkeit für alle seit dem 1. Januar 2000 eingebürgerten Deutschen bedeuten sollte. Zum Leidwesen der Verfassungsschützer gibt es dafür allerdings in der Programmatik der AfD keine Hinweise. Weshalb sie es mit einem Konvolut aus vermeintlich verfassungsfeindlicher Rhetorik von AfD-Mitgliedern versuchen, denen es aber an einer logischen Begründung fehlt, wie Andreas Rosenfelder in der Welt deutlich macht.
Die geistigen Verrenkungen der historisch-kulturell zweifellos sehr deutschen politischen Ethnologen schildert der Publizist Mathias Brodkorb in seinem Buch „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien“. Es ist hiermit zur Lektüre empfohlen. Es ist auch offen, ob dieses Elaborat des Verfassungsschutzes zu einem Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führen wird. Der AfD ist weder programmatisch noch organisatorisch eine verfassungsfeindliche Ausrichtung nachzuweisen. Ansonsten hätte es diesen Nachweis längst gegeben. Dafür bräuchte man auch keine tausend Seiten in einem Gutachten, sondern es reichten zehn. Gravierender ist die politische Funktion dieser Kategorisierung der AfD als gesichert rechtsextremistisch.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schildert das in seiner Pressemitteilung mit hinreichender Deutlichkeit: „Dieses ausgrenzende Volksverständnis ist Ausgangspunkt und ideologische Grundlage für eine kontinuierliche Agitation gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, mit der diese pauschal diffamiert und verächtlich gemacht sowie irrationale Ängste und Ablehnung ihnen gegenüber geschürt werden.“
Denn das ist das eigentliche Ziel dieser Verlautbarung: Der kontinuierlichen Agitation gegen AfD-Mitglieder und ihre Wähler eine vom Staat dekretierte politische Grundlage zu geben. Es geht sogar noch weiter, weil diese zugleich deren Stigmatisierung und Ausgrenzung ermöglichen soll. Der WDR-Journalist Georg Restle hat das sofort verstanden. Es sei eine Entscheidung, die Folgen haben müsse, auch für den ÖRR. Eine „Gleichbehandlung“ von Rechtsextremisten verstoße gegen den Programmauftrag. Verfassungsfeinden dürfe keine Bühne gegeben werden. Und zwar „nicht in Talks, nicht in der Tagesschau.“ Diese rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit einer rechtlichen Gleichbehandlung aller Staatsbürger wird damit die Grundlage entzogen.
Denn sie wird das gesamte gesellschaftliche Leben betreffen. Warum soll man den Unterstützern und Anhängern einer „gesichert rechtsextremistischen“ Partei noch ein Bankkonto gewähren, ihnen ein Hotelzimmer, eine Wohnung oder ein Büro vermieten? Dürfen sie sich noch in unpolitischen Einrichtungen wie dem THW oder in Freiwilligen Feuerwehren engagieren? Dürfen sie noch einen Arbeitsplatz haben, wenn sie sich nicht regelkonform äußern, selbst wenn es sich noch nicht einmal um strafbare Meinungsäußerungen handelt? Wie der Staat in den vergangenen Jahren die Strafbarkeit von Meinungsäußerungen verschärft hat, ist bekannt.
Die soziale Funktion besteht nicht darin, den „gesichert rechtsextremen“ Personen den Zugang zur Gesellschaft gesetzlich zu verbieten, zu einem solchen offenen Verfassungsbruch wird es nicht kommen. Vielmehr soll eine gesellschaftliche Atmosphäre erzeugt werden, die jeden Staatsbürger zu einem Sympathisanten von Rechtsextremisten macht, die das staatlich verhängte Ausgrenzungsgebot ignorieren, etwa weil sie politische Positionen teilen sollten. Es geht um die Konstruktion einer Kontaktschuld, um auf den Staatsbürger eine einschüchternde Wirkung auszuüben. Das soziale und gesellschaftliche Leben wird vom Staat politisiert, um auf diese Weise konformes Verhalten zu erzwingen. Diesen Mechanismus gibt es schon heute, wie die zahllosen Umfragen belegen, wo Bürger ihre Angst vor den Folgen einer freien Meinungsäußerung ausdrücken.
Es wird gleichzeitig eine rechtliche Grauzone erzeugt, die die Möglichkeit strafbaren Handelns im Ungewissen lässt. Niemand weiß mehr, was strafbar ist und was nicht. Der Verfassungsschutz öffnet mit seiner Einschätzung der Willkür alle rechtlichen Türen. Warum sollen solche Bewertungen nicht auch im Zivilrecht umgesetzt werden, etwa um Vermieter ein Sonderkündigungsrecht gegen Sympathisanten einer „gesichert rechtsextremistischen“ Partei zuzubilligen? Muss man als Privatperson tolerieren, was der Staat per Dekret für intolerabel hält?
Die politische Begründung liest sich in der Pressemitteilung des Verfassungsschutzes so: „Dies zeigt sich in der Vielzahl fortlaufend getätigter fremden-, minderheiten- sowie islam- und muslimfeindlichen Äußerungen von führenden Funktionärinnen und Funktionären der Partei. Insbesondere die fortlaufende Agitation gegen Geflüchtete beziehungsweise Migrantinnen und Migranten befördert die Verbreitung und Vertiefung von Vorurteilen, Ressentiments und Ängsten gegenüber diesem Personenkreis.“ Tatsächlich praktiziert der Staat das, was er der AfD unterstellt.
Jeder Leser muss sich nur vorstellen, der Staat könnte das mit einer anderen ideologischen Begründung praktizieren, um schließlich die Linke, die Grünen und die SPD als „gesichert linksextrem“ zu kategorisieren. Es wäre in gleicher Weise als Weg in einen autoritären Staat zu beurteilen. Deshalb kommt es nicht auf die inhaltlichen Begründungen wie den über den Volksbegriff an, sondern um den funktionalen Kern liberaler Demokratien. Sie schützen nicht den Staat vor dem Bürger, sondern mit einer Verfassung den Bürger vor dem Machtmissbrauch des Staates.
Allein deshalb darf der Staat über das Gewaltmonopol verfügen, weil ihm damit klare Grenzen gesetzt werden. Der Verfassungsschutz schützt somit nicht die Verfassung, sondern erschüttert die liberale Demokratie in ihren Grundfesten. Allerdings ist der Verfassungsschutz nicht die Ursache, sondern das Symptom dieser Krise liberaler Demokratien. Er dokumentiert, wie der normative Kern unserer Staatsordnung verloren gegangen ist. Er droht zu einer bloßen organisatorischen Hülle zu werden, die sich noch Rechtsstaat nennt, aber nichts mehr von ihm übriglassen wird. Insofern müssen die Staatsbürger jetzt die Verfassung vor den Verfassungsschützern schützen, um nicht in einem autoritären Staat zu landen, der uns allen die Grundrechte raubt.