Wahltag: Für Kanadas konservative Opposition geht es um alles

vor etwa 4 Stunden

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Kanada wählt am Montag ein neues Parlament: Es ist die erste Wahl nach dem Rücktritt des langjährigen Premierministers Justin Trudeau. Von ihm hat der ehemalige Chef der Bank of England, Mark Carney, die Zügel übernommen. Ihm könnte nun ein großer Coup gelingen: Noch vor wenigen Monaten lagen seine Liberalen meilenweit hinter den oppositionellen Konservativen – nach einer Aufholjagd liegt seine Partei wieder vor den Konservativen.

Das ist insbesondere für den konservativen Parteichef und Spitzenkandidaten, Pierre Poilievre, tragisch. Poilievre ist seit 2022 Parteivorsitzender – fast die gesamte Zeit lag er in den Umfragen vor den Trudeau-Liberalen. Noch im Januar wurde seinen Konservativen ein Erdrutschsieg prognostiziert. In Umfragen stand die größte Oppositionspartei damals noch bei bis zu 47 Prozent – teilweise rund 27 Prozentpunkte vor den Liberalen. Wären die Umfragen so verblieben, hätte Poilievre voraussichtlich den größten Wahlsieg in der Geschichte des modernen Kanadas eingefahren.

Poilievre hat seit seinem Antritt als Parteichef die Konservativen verändert: Nachdem 2015 der konservative Premierminister Stephen Harper durch Trudeau abgewählt worden war, blieben die Konservativen, im Vergleich zu den Republikanern in den USA, auf einem vorsichtigen, moderat-konservativen Kurs.

Bei den Parlamentswahlen in den Jahren 2019 und 2021 führten die jeweiligen konservativen Parteivorsitzenden einen möglichst moderaten Wahlkampf, immer daran bedacht, möglichst wenig anzuecken. Beide Male scheiterte die Partei an Trudeaus Liberalen. Dann kam Poilievre: Früh wurde er von linken kanadischen Medien als der „kanadische Trump“ bezeichnet. Das mag eine Übertreibung sein – dennoch gab Poilievre seiner Partei wieder einen klareren Kurs.

Der Parlamentsabgeordnete wurde wenige Monate nach den weltweit berühmt gewordenen Trucker-Protesten im Februar 2022 zum Parteivorsitzenden gewählt. Während die Trucker das Regierungsviertel der kanadischen Hauptstadt Ottawa blockierten, machte Poilievre bereits seine ersten Schritte als Favorit auf das Amt des Parteichefs und trat vor allem als großer Unterstützer der Trucker auf. Diese demonstrierten gegen eine de-facto-Impfpflicht für ihren Beruf – Trudeau ließ, um die Blockade teilweise gewaltsam auflösen zu lassen, damals sogar den Notstand verhängen.

Poilievre gab sich volksnah – Kritiker warfen ihm immer wieder „Populismus“ vor. Ungeachtet dessen funktionierte seine Strategie lange Zeit – insbesondere angesichts der zunehmend unbeliebten und von der Realität entkoppelten Trudeau-Regierung. Poilievre traf den Nerv der Zeit mit seiner harten Kritik an dem wirtschaftsfeindlichen Klimakurs der Regierung und absurden „woken“ Maßnahmen im gesellschaftspolitischen Bereich.

Doch es war nicht der Wahlkampf der letzten Wochen, sondern bereits zwei Ereignisse im Januar, die Poilievre aus der Bahn geworfen haben: Trudeau gab Anfang Januar bekannt, sich als Premierminister zurückzuziehen, nachdem der parteiinterne Druck auf ihn einfach zu groß geworden war: Zu unbeliebt war der Regierungschef geworden, zu links selbst für viele seiner Parteifreunde.

Nicht nur fiel mit Trudeau eine der größten Hassfiguren der kanadischen Politik für die Konservativen weg, an dessen Stelle ist nun Mark Carney getreten, der sich deutlich moderater gibt. Carney arbeitete einige Zeit als Chef der Bank of Canada sogar für den konservativen Premierminister Harper (bevor Carney später nach England wechselte, um dort Bankenchef zu werden). Damals soll er sich, kanadischen Medienberichten zufolge, sogar überlegt haben, für die Konservativen eine politische Karriere anzustreben.

Als zweites für das politische Klima entscheidendes Ereignis kann im Nachhinein der Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump gewertet werden. Er liebäugelt immer wieder mit einer Annexion Kanadas, bezeichnete Trudeau immer wieder als „Gouverneur“. Gleichzeitig erhob Trump gleich mehrmals weitreichende Strafzölle gegen Kanada. Seine Drohgebärden und die Strafzölle hatten geradezu eine patriotische Welle in Kanada zur Folge: Supermärkte riefen ihre Kunden dazu auf, amerikanische Waren zu boykottieren und „kanadisch“ einzukaufen; bei gemeinsamen Sportveranstaltungen wurde die amerikanische Nationalhymne von Kanadischen Fans ausgebuht.

Premierminister Carney, der amtsintern als Nachfolger von Trudeau gewählt wurde, konnte sich angesichts der diplomatischen Krise mit dem Nachbarland als großer Staatsmann inszenieren. Die Konservativen gelten obendrein im politischen System Kanadas als tendenziell Amerika-nah. In der Welle des USA-Hasses kam das nicht gut an. Poilievre sah sich angesichts dessen sogar dazu gezwungen, Trumps Politik öffentlich deutlich zu verurteilen. Im Wahlkampf zog er dann mit den Slogans „Kanada zuerst“ und „Kanada steht nicht zum Verkauf“ ins Rennen. Gebracht hat ihm diese Distanzierung von Trump jedoch offenbar nichts.

Doch auch Poilievre selbst wird im Wahlkampf, angesichts der drohenden Wahlniederlage, zunehmend zum Gegenstand innerparteilicher Kritik. Ihm wird vorgeworfen, im Wahlkampf zu sehr in die alten Muster der Konservativen zurückgefallen zu sein. Tatsächlich hat er einen deutlich weniger aggressiven Wahlkampf geführt, als es sein Auftreten in den Jahren davor hatte erwarten lassen.

Nun werden in Kanada mit Spannung die Ergebnisse der Parlamentswahlen erwartet – gegen Mitternacht deutscher Zeit sollen die ersten Prognosen kommen. Auch trotz seiner Führung mit durchschnittlich vier Prozentpunkten Vorsprung (rund 43 Prozent der Stimmen) bleibt es weiterhin spannend: In den vergangenen Tagen wurden die Umfragen wieder zunehmend eng, die Konservativen bauten zumindest minimal an Momentum auf.

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