Wer die Schuldenbremse angreift, ist der wahre Demokratie-Feind

vor 5 Monaten

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Im Wahlkampf entdecken viele Politiker ein altes und neues Lieblingswort: Schulden und Schuldenbremse. Von dem einen wollen sie mehr, von dem anderen wollen sie weniger oder die Schuldenbremse vielleicht am besten komplett zertrümmern ...

Das gilt für die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) wie auch Robert Habeck (Grüne). Doch auch in der Union mehren sich die Stimmen, die der Schuldenbremse ans Leder wollen. Und sogar die ehemalige Kanzlerin Merkel hat nichts Besseres zu tun, als in diesen Chor mit einzustimmen und eine „Reform der Schuldenbremse“ zu fordern, was praktisch eine Abschaffung bedeutet.

Dabei wäre genau jetzt der völlig falsche Zeitpunkt, die Schuldenbremse abzuschaffen.

Es ist schon faszinierend: Diejenigen, die bedeutungsschwanger und alarmistisch andauernd davon reden, unsere Verfassung und unser Grundgesetz müsse unbedingt geschützt werden, sind diejenigen, die gleichzeitig kein Problem damit haben, zum Verfassungsbruch aufzurufen. Nämlich immer dann, sobald es um die Schulden des Staates und die Schuldenbremse geht. Denn das wird – zufälligerweise natürlich – immer in der Debatte unterschlagen.

Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz und gehört damit zu unserer Verfassung. Es ist also nicht irgendeine Vorschrift, sondern gehört zu den Grundfesten unseres Staates und damit auch zu unserer Demokratie. Wir können also durchaus die Angriffe auf die Schuldenbremse als einen Angriff auf unsere Verfassung werten. Darin zeigt sich die Doppelzüngigkeit der politischen Moralapostel insbesondere im grünen und roten Lager.

Doch was ist die Schuldenbremse eigentlich? Zunächst einmal eine Bremse.

Es geht also nicht darum, dass keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden dürfen, sondern eben nur gebremst. Allein schon bei einem Blick auf das Wort an sich, wird das Märchen der Schuldenfans entlarvt. Es geht eben nicht um das Sparen, sondern um das Bremsen der Staatsverschuldung.

Neue Schulden kommen also immer noch oben drauf und es wird auch kräftig Geld ausgegeben und eben nicht gespart. Das Ziel der Schuldenbremse ist es, die langfristige Tragfähigkeit der Haushalte von Bund und Ländern zu garantieren und damit dafür zu sorgen, dass der Staat auf allen Ebenen seine Aufgaben erfüllen kann. Für den Bund ist eine strukturelle Verschuldung lediglich in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zulässig. Eine Erhöhung der Kreditaufnahme in schlechten wirtschaftlichen Phasen muss unbedingt in guten Phasen wieder ausgeglichen werden. Dabei sichert aber eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Notsituationen die notwendige Handlungsfähigkeit des Staates.

Zur Unterstützung der Menschen nach der Flut im Ahrtal wurde von der Ausnahme der Schuldenbremse Gebrauch gemacht.

Genau darauf haben ja in der Vergangenheit auch immer Grüne und Sozialdemokraten gesetzt. Mit dem Herbeireden einer Notsituation, sollte nämlich eine solche Ausnahme von der Schuldenbremse gemacht werden. Zunächst sollten es die Folgen der Corona-Krise sein, dann der andauernde Krieg Russlands gegen die Ukraine und zuletzt die schlechte wirtschaftliche Situation Deutschlands, das sich im zweiten Jahr in Folge in einer Rezession  befindet.

Gerade weil die Wirtschaft so schlecht läuft, kann Deutschland ja deutlich weniger Schulden aufnehmen, als es oben mit den 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beschrieben ist. Für Deutschland wird für das Jahr 2024 ein Bruttoinlandsprodukt von etwas mehr als 4400 Milliarden Euro erwartet. Das bedeutet, dass die Neuverschuldung bei etwas mehr als 15 Milliarden Euro liegen dürfte. Durch die schlechte wirtschaftliche Lage – die sogenannte Konjunkturkomponente der Schuldenbremse – kann dieser Wert der „erlaubten Schulden“ in Richtung 50 Milliarden Euro anwachsen.

Das ist viel, aber nicht übermäßig viel Geld. Aber es geht Deutschland nun mal auch nicht gut. Und genau das ist ja der Sinn der Schuldenbremse: Dass der Staat in schlechten wirtschaftlichen Zeiten eben nicht Kredite ohne Ende aufnimmt, um dann das Geld mit vollen Händen für irgendwelche Haushaltslöcher auszugeben, die gerade deshalb an allen Ecken und Enden auftauchen, weil die Wirtschaft mies läuft. Auch wenn immer behauptet wird, die Schuldenbremse müsse für sogenannte Zukunftsinvestitionen abgeschafft werden. Bisher sind neue Schulden immer zum allergrößten Teil zum Stopfen alter Schulden, für Zuschüsse in die Rentenkassen und vor allen Dingen für Zuschüsse in die Sozialsysteme verwendet worden.

Hätte es wirklich Zukunftsinvestitionen gegeben, dann würden in Deutschland keine Brücken einstürzen, die Bundeswehr wäre nicht nur bedingt einsatzfähig und wir wären sicherlich auch nicht Schlusslicht in Europa bei der Digitalisierung.

Außerdem gibt es für solche Zukunftsinvestitionen ein anderes Mittel in der Finanzpolitik. Nämlich sogenannte Sondervermögen. Ein solches wurde ja beispielsweise für die Bundeswehr aufgelegt in Höhe von 100 Milliarden Euro. Während die Gelder aus der allgemeinen Staatsverschuldung nach politischem Gutdünken verteilt werden können, sind die Gelder in Sondervermögen immer zielgerichtet. Genau das ist der entscheidende Unterschied. Sondervermögen werden eingerichtet, um umfangreiche und mehrjährige Maßnahmen für einen ganz bestimmten Zweck zu finanzieren. Sondervermögen werden per Gesetz beschlossen und müssen auch dieselben Anforderungen erfüllen wie der Bundeshaushalt. Sie laufen neben dem normalen Bundesvermögen, so dass nichts für andere Zwecke abgezwackt werden kann. Sondervermögen dürfen sogar Kredite aufnehmen, wenn das Gesetz es so vorsieht. Dass Olaf Scholz, Robert Habeck und auch viele Politiker aus der Union eben genau nicht von Sondervermögen sprechen, sondern die Schuldenbremse angreifen, zeigt ganz klar, worum es ihnen eigentlich geht.

Die Schuldenbremse soll dafür sorgen, dass zukünftige Generationen nicht übermäßig von Schulden belastet werden und ihre Handlungsfähigkeit behalten können. Denn wenn in der Zukunft praktisch alles Geld für die Schuldentilgung aufgewendet werden muss, dann können die Kinder und Enkel nicht mehr selbst in irgendetwas investieren. Das ist eigentlich ein sehr nachhaltiger Gedanke. Doch diejenigen, die immer von Nachhaltigkeit reden, interessiert diese Art der Nachhaltigkeit überhaupt nicht.

Die Schuldenbremse soll auch dafür sorgen, dass Deutschland nicht in einen Staatsbankrott schlittert. So etwas passiert schneller, als die meisten glauben. Dafür gibt es auch eine ganze Reihe von Beispielen allein aus den letzten Jahrzehnten. Argentinien war schon zweimal in den letzten knapp 25 Jahren pleite, nämlich 2001 und 2014. Im Jahr 2001 belief sich die Verschuldung des Landes auf knapp 132 Milliarden Dollar, was einer Schuldenquote von 130 Prozent des Bruttoinandsproduktes (BIP) entsprach. Das bedeutet, die Schulden waren um 30 Prozent größer als die gesamte Wirtschaftsleistung des Landes in dem Jahr. Griechenland war in der Euro-Krise im Jahr 2012 ebenfalls faktisch pleite und wurde von den anderen Euro-Ländern mühsam gerettet. Hier lagen die Schulden bei 356 Milliarden Euro und 170 Prozent des BIP. Das gleiche gilt für das kleine Zypern, das 2013 ebenfalls seine Schulden in Höhe von 23 Milliarden Dollar nicht mehr bedienen konnte. In Südamerika waren es Venezuela im Jahr 2017 (150 Milliarden Dollar) und Ecuador 1999 (16 Milliarden Dollar), die eine Schuldenkrise und eine Zahlungsunfähigkeit deklarieren mussten. Auch Russland konnte schon einmal seine Schulden nicht mehr bedienen, das war im Jahr 1998 bei einem Schuldenstand von 40 Milliarden Dollar.

Diese Zahlen zeigen deutlich: Selbst bei relativ kleinen Summen, können Staaten in den Staatsbankrott laufen. Denn auch hier gibt es so etwas wie„"Kipp-Punkte“, wie wir sie mittlerweile sehr gut aus Klima-Debatten kennen. Wenn eine kritische Grenze überschritten wird, dann fällt das System in sich zusammen und die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Wann genau dieser Punkt erreicht ist, das kann niemand voraussagen. Deswegen ist es ja auch so wichtig, die Schulden in Grenzen zu halten und eben nicht uferlos einfach weiter wachsen zu lassen.

Yanis Varoufakis war griechischer Finanzminister während der Staatsschuldenkrise von zehn Jahren.

Zumal die Staaten in Europa bereits ordentlich verschuldet sind. Frankreich hat aktuell 3,1 Billionen Dollar Schulden, was 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Italien weist ebenfalls eine Schuldenlast von 3,1 Millionen Dollar auf, was 145 Prozent des BIP bedeutet. Spanien steht mit 1,6 Billionen Dollar in der Kreide und das sind 113 Prozent des BIP. Griechenland ist mit 400 Milliarden Dollar verschuldet, das sind immer noch 193 Prozent der Wirtschaftsleistung. Deutschland hingegen hat Schulden von 2,8 Billionen Dollar, was etwa 67 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht.

Praktisch alle Untersuchungen und Statistiken der letzten Jahrzehnte zeigen, dass es einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Staatsbankrotten gibt. Dafür sind mehrere Punkte wichtig. Eine übermäßige Staatsverschuldung kann zu einer höheren Wahrscheinlichkeit eines Bankrotts führen, wenn die Schuldenlast die Fähigkeit eines Staates zur Rückzahlung übersteigt. Auch eine schlechte wirtschaftliche Lage befördert das Risiko eines Staatsbankrotts. Denn wenn die Wirtschaft schlecht läuft, fehlen dem Staat Einnahmen und das gefährdet die finanzielle Stabilität und die Zahlungsfähigkeit des Staates.

Sogenannte externe Schocks, wie beispielsweise Finanzkrisen, Terror und Kriege können Staaten mit hoher Verschuldung besonders hart treffen, weil diese Staaten wenig Spielraum haben, um auf diese Krisen zu reagieren. Denn sie sind ja schon extrem verschuldet.

Hohe Inflationsraten können zudem den realen Wert der Schulden verringern, aber Sie können auch das Vertrauen in eine Währung untergraben und zu einem Anstieg der Zinsen führen, was die Rückzahlung der Schulden dann umso teurer macht. Strukturelle Probleme in einer Wirtschaft erhöhen das Risiko der Durchschlagskraft von externen Schocks und erhöhen damit auch das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des Staates oder gar eines Staatsbankrotts.

Schauen wir uns die aktuelle Situation in Deutschland an und schauen wir auch darauf, wie die nächsten Jahre wohl aussehen werden, dann stellen wir fest, dass geradezu idealtypisch alle Voraussetzungen erfüllt sind. Deutschland ist nicht überschuldet, aber sehr hoch verschuldet, Deutschland befindet sich in einer festgefahrenen Rezession, Deutschland hat strukturelle Probleme in der Wirtschaft und leidet sogar unter Deindustrialisierung, die Preise sind immer noch hoch und steigen weiter an und die Gefahr von externen Schocks durch eskalierende Krisen und Kriege sowie einen Handelskrieg mit den USA sind alles andere als unwahrscheinlich.

Wer vor diesem Hintergrund die Schuldenbremse einreißen will und Deutschland damit noch mehr Schulden auf die schwächelnden Schultern packen will, der hat von wirtschaftlichen Zusammenhängen keine Ahnung und er handelt mit Vorsatz gegen die Sicherheit und die Stabilität Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger. Und letztendlich auch massiv gegen die europäische Sicherheit.

Der Ruf nach immer neuen Schulden ist also über kurz oder lang der direkte Weg in die Überschuldung und damit in einen möglichen Staatsbankrott. Vor allen Dingen ist es aber eine Bankrott-Erklärung der Politik selbst. Es ist das Eingeständnis, nicht zu wissen, wie man die Probleme der Zeit lösen könnte, und einem als letzter kurzfristiger Ausweg nur noch neue Schulden einfallen. Der Sinn und der Hintergedanke der Schuldenbremse ist ja aber genau das: Nach langfristig sinnvollen und nachhaltigen Lösungen suchen zu müssen! Und das bedeutet, dass Ausgaben zurückgefahren werden.

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