Wie das neue Zeitalter der Hausdurchsuchungen die Meinungsfreiheit zerstört

vor 5 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Morgens um 6 Uhr klingeln bewaffnete Beamte an der Tür, haben einen Durchsuchungsbeschluss in der Hand, wegen eines Memes im Internet. Der Fall von Stefan Niehoff aus Franken ist nur einer von Hunderten, vielleicht Tausenden, die für ein neues Zeitalter in Deutschland stehen. Wir diskutieren über Worte „Schwachkopf“, „Idiot“, „*loch“ und lächelnde Kackhaufen und die Frage, ob solcherlei Lappalien empfindliche Geldstrafen und im schlimmsten Fall einen Polizei-Besuch zur Folge haben sollten.

Die landläufige Meinung jedenfalls ist, dass Politiker, je mehr Macht sie haben, desto mehr sollten sie auch an derben Kommentaren, deftiger Kritik und auch beleidigende Worte aushalten müssen. Statt dieser Richtschnur zu folgen, werden Meldestellen eingerichtet und Agenturen damit beauftragt, das Internet nach möglicherweise strafbaren Beiträgen und Kommentaren abzusuchen und diese zur Anzeige bringen. Nur was ist Sinn und Zweck dieser Übung, die zum einen die Justiz im Übermaß beschäftigt, die zum anderen ebenjene Justiz einfachen Bürgern wegen Bagatellen auf den Hals hetzt, vor allem jedoch den demokratischen Diskurs in Gefahr bringt?

Die neue Anzeigeflut jedoch, die Tatsache, dass Politiker wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) oder Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) oder CDU-Chef Friedrich Merz (und viele, viele andere mehr) teils Hunderte Strafanträge unterschreiben und zur Recherche solcher Fälle Unternehmen mit Gewinnabsicht beauftragen, hat eine ganz andere, eine politische Dimension.

Auch CDU-Chef Friedrich Merz hat Kommentare im Netz anzeigen lassen, die Hausdurchsuchungen zur Folge hatten, wie Recherchen des Stern zeigen.

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In der Corona-Krise ist der Paragraph 188 im Strafgesetzbuch eingeführt worden – zu deutlich waren die Worte der Kritiker an drakonischen Maßnahmen, der Ausgrenzung Ungeimpfter und den absehbaren Folgen für Kinder und Jugendliche, die in weiten Teilen auch noch Recht behalten sollten.

Obwohl es in Deutschland keine Majestäten mehr gibt und die Macht (eigentlich) vom Volke ausgeht, werden Politiker mit dieser Rechtsnorm auf ein Podest gehoben. „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“ lautet das Vergehen, das eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren nach sich ziehen kann.

Ein Gesetz, das der Inbegriff von „Die da oben“ ist.

Entscheidend: Der mutmaßlich Beleidigte muss die mutmaßliche Beleidigung nicht einmal mehr selbst zur Anzeige bringen. Sofern ein öffentliches Interesse besteht, können die Behörden auch durch Hinweise Dritter oder von Meldestellen oder von Kanzleien, die damit ihr Geld verdienen, ermitteln – oder gar selbstständig Jagd auf Leute machen, die Kackhaufen ins Netz posten.

Gemischt mit der Dauerschleifen-Erzählung von „Hass und Hetze“ und der „Verrohung des Diskurses“, scheinen zahlreiche Staatsanwälte und Amtsrichter motiviert, allein in der Tatsache ein öffentliches Interesse zu sehen, dass Politiker nun einmal öffentliche Personen sind und schicken fleißig Strafanträge durch die Republik.

Der Kommentar „Was ein Idiot“ soll „das Wirken des Herrn Olaf Scholz als  Bundeskanzler erheblich“ beeinträchtigen.

Wenn der Kommentar „Was ein Idiot“ eines unbekannten Mannes in einer Telegram-Gruppe wirklich „das Wirken des Herrn Olaf Scholz als  Bundeskanzler erheblich“ beeinträchtigen kann, so wie es im entsprechenden Strafbefehl, der NIUS vorliegt, wie in vielen anderen auch Wort für Wort steht, um die 1200 Euro Strafe zu begründen, dann kann jedes kritische Wort, jedes Gegenargument, einfach alles das Wirken von Politikern beeinträchtigen. Wenn ein geteiltes „Schwachkopf“-Meme die Behörden dazu veranlasst, das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung zu brechen, gibt es nichts, was kein Grund mehr wäre, bewaffnete Beamte morgens um 6 Uhr im ganzen Land klingeln zu lassen.

Selbst die tendenziell linke Journalisten Miriam Hollstein vom Stern kritisiert die Behörden-Wut: „Das eigentliche Problem ist nicht, dass Politiker Beleidigungen anzeigen, egal, ob Habeck, Merz oder sonst jemand. Das Problem ist, dass Staatsanwaltschaften wegen sowas Hausdurchsuchungen beantragen und Gerichte sie genehmigen! Das ist absolut unverhältnismäßig.“

Dass sich aus der Gemengelage aus einer auf ein Podest hebenden Gesetzgebung, der Überempfindlichkeit vieler Politiker und der Übermotiviertheit zahlreicher Staatsanwälte und Amtsrichter eine Industrie entwickelt, die damit – mit dem Anschwärzen einfacher Bürger für kritische, bösartige und ja, in vielen Fällen auch beleidigenden Kommentaren – massig Geld verdienen wollen, ist nur ökonomisch rational. Dieser Dreiklang greift aber die für die Demokratie elementare öffentliche Debatte an.

Nicht, weil Beleidigungen, Bedrohungen, Mord- und Vergewaltigungsfantasien zu Recht sanktioniert werden und zu deren Anzeige jeder – unabhängig von politischen Ämtern – das Recht hat. Sondern wegen der Tausenden Fälle unterhalb dieser Grenze, wegen der lächerlichen Strafbefehle, Urteile, der Hausdurchsuchungen, der Einschüchterungen und der offensichtlichen zunutze Machung zahlreicher Politiker, die freie Bürger dieses Landes dreimal überlegen lassen wird, ob sie sich noch kritisch, laut und deutlich in die offene Debatte wagen. Und eines ihrer zentralen Grundrechte de facto damit seine Wirkung verliert.

Mehr NIUS: Regierung kontra Meinungsfreiheit: Wir haben uns an das Unrecht gewöhnt – und das ist ein Problem

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