
Fasst man das, was in den letzten drei Monaten in Ludwigshafen aufgeführt wurde, zusammen, gewinnt man den Eindruck, dass nicht die Bürger von Ludwigshafen ihren Oberbürgermeister wählen, sondern der Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz. Am Sonntag, den 21. September 2025 sollte eigentlich eine demokratische Wahl in Ludwigshafen stattfinden. Eine Wahl wird am Sonntag stattfinden. Dass sie demokratisch sein wird, darf man inzwischen mit guten Gründen bezweifeln, zumal sie kaum mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Denn die Wahl wird bestimmt durch den Eingriff in die Grundrechte, einen Eingriff sowohl in das passive Wahlrecht des Kandidaten als auch in das aktive Wahlrecht der Bürger von Ludwigshafen, indem einfach ein Kandidat von der Wahlliste gestrichen wurde.
Allein das stellt schon einen Bruch des Grundgesetzes dar. Kurz darauf sollte es Minister Ebling und seinen Leuten dämmern, dass man zu früh gehandelt hatte, denn noch waren die SPD-Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht nicht gewählt, die diese Verstöße gegen das Grundgesetz „durch Rechtsanwendung“ und Interpretation womöglich in Recht „wandeln“ könnten, wie es die neue SPD-Kandidatin Emmenegger einmal in einem Aufsatz ausdrückte. Folgerichtig ruderte am 15. Juli das Innenministerium von Rheinland-Pfalz zurück, natürlich verwehre „Rheinland-Pfalz AfD-Mitgliedern künftig nicht den Eintritt in den Staatsdienst allein wegen ihrer Parteizugehörigkeit“, hieß es auf einmal, wie die Tagesschau nun über eine Anfrage beim Ministerium berichtete.
Nun hieß es laut Tagesschau: „Wer Mitglied in der AfD ist, kann sich für eine Stelle im Staatsdienst in Rheinland-Pfalz bewerben. Entscheidend ist, ob die Person glaubhaft darlegt, dass sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt. Die Einzelfallprüfung soll sicherstellen, dass keine verfassungsfeindlichen Personen in den öffentlichen Dienst gelangen.“ Es gibt also eine Lex AfD, AfD-Bewerber für den öffentlichen Dienst müssen „glaubhaft darlegen, dass sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ bekennen. Auch Mitglieder der Linken? Auch Mitglieder der Grünen? Auch Mitglieder der CDU? Auch Mitglieder der SPD? Und wer entscheidet über die Glaubhaftigkeit? Die SPD? Die Grünen? Die Linken? Letztere haben in ihrer Parteigeschichte wenigstens Erfahrung mit Prüf-Einrichtungen wie das Ministerium für Staatssicherheit.
Was jetzt folgte, wirkt wie eine Komödie, wie die notdürftig-rechtliche Inszenierung einer womöglich getroffenen Absprache. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz „erinnerte“ plötzlich daran, dass die eingereichten Wahlvorschläge zu prüfen seien. Es war klar, was und wer damit gemeint war. Als hätte sie nur darauf gewartet, folgte die Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, Jutta Steinruck, der Aufforderung und schrieb an den Innenminister: „ich möchte Ihnen nachfolgende Hinweise mitteilen, welche ich als Wahlleiterin auffinden konnte. Da diese jedoch allenfalls Interpretationen zulassen, bin ich auf objektive Anhaltspunkte/Prüfungsergebnisse des Verfassungsschutzes, insbesondere, ob bei der betreffenden Person entsprechende gerichtsverwertbare Tatsachen vorliegen, die nicht älter als fünf Jahre sind, angewiesen.“
Welche Hinweise fand Jutta Steinruck, die ein Prüfverfahren des Verfassungsschutzes notwendig machten? Im Grunde nur einen Wikipedia-Eintrag: „Im Dezember 2023 sperrte die AfD Joachim Paul für alle Parteiämter, da dieser den als Erkennungszeichen Rechtsextremer geltenden ‚White-Power- Gruß‘ gezeigt haben soll. Paul bestreitet einen extremistischen Hintergrund seiner Geste.“ Um den dürren Fund wichtiger zu machen, fügte sie beflissen hinzu: „Der Verfassungsschutzbericht 2024 des Ministeriums des Innern und für Sport beschreibt auf Seite 98, dass das ‚Quartier Kirschstein‘ in Koblenz, Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten Joachim Paul, zu einer bedeutenderen Veranstaltungs- und Vernetzungsörtlichkeit herangewachsen ist. Dadurch ließe sich eventuell auf eine Vernetzung bzw. organisatorischen Einbindung von Herrn Paul schließen.“
Die Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz zusammengetragen hat, gehen nicht über Konstruktionen und Kontaktschuldannahmen hinaus, wie beispielsweise zu einem Kamerateam: „Die Zusammenarbeit verdeutlicht erneut, dass er keinerlei Berührungsängste mit dem ‚COMPACT-Magazin‘ und deren Verantwortlichen hat.“ Oder sie haben die erschütternde Qualität wie diese Erkenntnis des Verfassungsschutzes: „In dem Beitrag unter dem Titel ‚Deutscher Mythos kehrt zurück: ‚Hagen – im Tal der Nibelungen‘ als Schritt in die richtige Richtung‘ kritisierte Joachim Paul die rheinland-pfälzische Landesregierung, da sie sich seiner Meinung nach nicht bemüht habe, sich in Bezug auf die Neuverfilmung der Nibelungensage mit Rheinland-Pfalz als Drehort in Szene zu setzen und diese Tatsache zu vermarkten.“
Auch Pauls Meinung zur Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ schien dem Verfassungsschutz, den Entzug des passiven Wahlrechts zu rechtfertigen. Er schrieb: „Im September 2022 wurde ein Beitrag von Joachim Paul mit Bezug zur Amazon-Serie ‚Die Ringe der Macht‘ veröffentlicht, in welchem er Parallelen zum Nationalismus und der von der ‚Neuen Rechte‘ verfolgten ‚Konservativen Revolution‘ zog.“ Allerdings findet sich im vom Verfassungsschutz zitierten Text von Paul das Wort „Konservative Revolution“ nicht: „Tatsächlich spiegelt das gesamte Werk Tolkiens eine konservative Geisteshaltung wider, die gerade weil sie ohne Weiteres in die Breite wirkt, von besonderem Wert für den zeitgenössischen Konservatismus ist. Die Protagonisten im ‚Herrn der Ringe‘ kämpfen für eine Sache, die größer ist als sie selbst, die Heimat, den Fortbestand ihrer Kultur, eine gerechte Ordnung, die Abwehr einer Weltgefahr. Sie sind bereit, ihr Leben dafür aufs Spiel zu setzen. Auch wenn sie sich frei für diesen Weg entscheiden, spüren sie eine tiefe Verpflichtung ihrem Volk, ihrer Kultur, ihren Vorvätern gegenüber.“
Wenn dem Verfassungsschutz von Rheinland-Pfalz „zeitgenössischer Konservatismus“ bereits verdächtig ist, dann stellt sich die Frage, ob der Verfassungsschutz von Rheinland-Pfalz in diesem Fall als Schild und Schwert der SPD agiert.
Und auch das „Netzwerk gegen Joachim Paul“, das sich in Ludwigshafen in Antifa-Manier gebildet hat und die Oberbürgermeisterin solidarisch grüßt, meldet sich am 31. Juli bei der „sehr geehrte(n) Frau Oberbürgermeisterin Steinruck“ und den „sehr geehrte(n) Beisitzende(n) des Wahlausschusses der Parteien SPD, FDP, CDU und FWG“, um als „demokratische Vertreter*innen“ zu „appellieren“. Tief blicken auf die Kampagne lässt die Formulierung: „Mitglieder des Netzwerks kommen aus Ludwigshafen und anderen Städten … und stehen alle sowohl solidarisch als auch besorgt an der Seite der Ludwigshafener Stadtbevölkerung.“ Aktivisten auch aus „anderen Städten“ „stehen alle sowohl solidarisch als auch besorgt an der Seite der Ludwigshafener Stadtbevölkerung“. Darauf folgt die Denunziation, die man aus der deutschen Geschichte nur zu gut kennt: „Wir betrachten Joachim Paul als eine Gefahr für die Bewohnerinnen der Stadt Ludwigshafen und infolgedessen als Gefahr für die Stadt selbst. Die Recherche-Ergebnisse, welche von Mitgliedern des Netzwerks erarbeitet wurden, belegen, so sind wir überzeugt, dass Joachim Paul nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht.“
Das „Dossier“, die Akte Paul, erreicht also rechtzeitig die Oberbürgermeisterin, damit sie den Mitgliedern des Wahlausschusses vorgelegt werden kann. Ausdrücklich dankt Steinruck am 1. August „den Initiatoren des Netzwerks für Ihr Engagement, sich für das Einhalten der Prinzipien und Werte unserer fundamentalen freiheitlich-demokratischen Grundordnung und für das Leben in unserer Stadt Ludwigshafen einzusetzen“. In der gleichen Mail wendet sie sich an die Mitglieder des Wahlausschusses: „In diesem Zusammenhang möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass die zur Verfügung gestellten Informationen ausschließlich zur eigenen Meinungsbildung herangezogen werden dürfen.“ Äußern zu all dem durfte sich Joachim Paul nicht, gefragt wurde er auch nicht.
Am 5. August tritt der Wahlausschuss um 11.30 Uhr zusammen. Wie von einem Teilnehmer zu erfahren war, musste wohl ein größerer Saal gefunden werden, damit auch Platz für die „demokratische Vertreter*innen“ geschaffen werden konnte. Jedenfalls erinnert sich ein Teilnehmer nach seinem subjektiven Eindruck, dass der Ablauf an einen Schauprozess gemahnte, bei dem das Ergebnis bereits von vornherein feststand.
Das Gedächtnisprotokoll, das TE vorliegt, weicht jedenfalls in einem wesentlichen Punkt von der „Niederschrift über die Sitzung des Wahlausschusses zur Entscheidung über die Zulassung der eingereichten Wahlvorschläge für die Wahl der/des Oberbürgermeisters der Stadt Ludwigshafen am Rhein am 21. September 2025“, das TE ebenfalls vorliegt, ab. Erinnerung und Niederschrift stimmen darin überein, dass der Vorsitzende des Wahlausschusses, Jutta Steinruck, die Sitzung eröffnet, die Wahlvorschläge bekannt gibt, ein Kandidat wegen verspätet eingegangener Bewerbung von der Liste gestrichen wird. Unter Punkt IV der Niederschrift heißt es:
„Bei der Prüfung der nachfolgenden Wahlvorschläge ergaben sich keine Mängel (Wahlvorschlag angeben): ■ CDU/FWG ■ SPD ■ Volt ■ Einzelkandidat Wegner. Bei der Prüfung der nachfolgenden Wahlvorschläge ergaben sich folgende Mängel (Wahlvorschlag und Art der Mängel angeben): Wahlvorschlag der AfD: Es liegen objektive Anhaltspunkte vor, dass die Verfassungstreue des Bewerbers (Herrn Herr Joachim Paul) für ein kommunales Wahlamt nicht gegeben sein könnte bzw. zu bezweifeln ist. Zu den festgestellten Mängeln wurde die Vertrauensperson des betroffenen Wahlvorschlags gehört.“
Was das Protokoll hier nicht erwähnt, ist, dass die Oberbürgermeisterin als Vorsitzende des Wahlausschusses aus dem Schreiben des Verfassungsschutzes vorgelesen hat und das Schreiben „mittels Beamer an die hinter der Vorsitzenden befindliche Wand gestrahlt“ wurde, „so dass der gesamte Saal Einblick in das Schreiben nehmen konnte“. Die Vertrauensperson des AfD-Kandidaten bekräftigte, dass der Kandidat „auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ stehe. Das „Publikum“ soll laut Erinnerung auf die Erklärung der Vertrauensperson mit Gelächter geantwortet haben. Den Mitgliedern des Wahlausschusses wurde, laut Erinnerung, das Schreiben des Verfassungsschutzes vorgelegt.
Nach der Rückkehr in den Saal stimmen Niederschrift und Erinnerung wieder überein. „Der Wahlausschuss beschloss mehrheitlich (6 Stimmen und 1 Gegenstimme) sodann, folgenden Wahlvorschlag zurückzuweisen (Wahlvorschlag und Zurückweisungsgrund angeben): Wahlvorschlag der AfD: Der Wahlausschuss bezweifelt, dass der Bewerber der AfD die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.“ Die Erinnerung des Augenzeugen ergänzt: „Im Saal brach Applaus aus.“
Es bleibt festzustellen, dass die Vorsitzende des Wahlausschusses nicht garantieren konnte, dass weder nach der Weiterleitung des „Dossiers“ der „demokratischen Vertreter*innen“ an die Mitglieder des Wahlausschusses Absprachen oder Diskussionen unter den Mitgliedern des Wahlausschusses noch, dass nach der Unterbrechung der Sitzung Absprachen unter den Mitgliedern des Wahlausschusses stattgefunden haben.
Sowohl das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße als auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz wiesen in fragwürdigen Beschlüssen die Beschwerde des Anwalts von Joachim Paul ab (TE berichtete). Sollte es nach der Wahl zur Klage von Joachim Paul kommen, scheint es fraglich, dass sich das Verfassungsgericht für Joachim Paul entscheiden könnte, denn dann heißt einer der Verfassungsrichter Dr. Sigrid Emmenegger, die, bevor sie ans Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig ging, am Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße und von Juli 2013 bis April 2014 am Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz tätig war.
Würde sie ihren Kollegen in den Rücken fallen?