
Am Dienstag veröffentlichte der Cicero das gesamte Gutachten des Bundesverfassungsschutzes zur AfD, das zu deren Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ geführt hatte. Bereits im Vorfeld hatten verschiedene Medien, etwa die Bild oder der Spiegel, Zitate und andere Auszüge aus dem Gutachten veröffentlicht. Doch nun zeigt sich: Immer wieder wurde das Gutachten nur verkürzt oder verzerrt wiedergegeben – oftmals vollkommen intransparent.
Im Spiegel heißt es etwa über eine Aussage von Parteichefin Alice Weidel, die im Gutachten zitiert wird: „Parteichefin Weidel behauptete schon 2022, dass ‚Leistungsträger unserer Gesellschaft‘ durch Syrer, Rumänen und Afghanen ‚ersetzt’ würden.“ Die Zitate wurden jedoch aus dem Kontext gerissen, wie ein Blick in das gesamte Gutachten zeigt.
Weidel wird dort in Bezug auf den fortschreitenden Brain-Drain wie folgt zitiert: „Im Jahr 2021 haben etwa eine Million Einwohner ihre Heimat für immer verlassen, während laut dem Statistischen Bundesamt zeitgleich rund 1,1 Millionen nichtdeutsche Staatsbürger einwanderten. Gleichzeitig verlassen die Leistungsträger unserer Gesellschaft ihre Heimat in immer größerer Zahl.“ Weidel bezog sich dabei also direkt auf Auswanderungszahlen – machte dabei keinen Unterschied zwischen deutschen Staatsbürgern mit oder ohne Migrationshintergrund.
Weiter wird die Parteichefin zitiert: „Sie werden zu Flüchtlingen vor einer Politik, die ihnen ihre Existenzgrundlage nimmt (…). Ersetzt werden sie dem Statistischen Bundesamt nach vor allem durch Syrer, Rumänen und Afghanen. Diese stellten 2021 die Haupteinwanderungsgruppe dar.“ Weggelassen wird also, dass sich Weidel bei dem Begriff „ersetzen“ explizit auf die faktischen Einwanderungszahlen, gemäß dem Statistischen Bundesamt, bezog. Anders als der Spiegel es darstellt, redete die AfD-Parteichefin also nicht vom „Großen Austausch“.
Auch in der Bild wird ein Zitat aus dem Verfassungsschutzgutachten verkürzt dargestellt, wie der Cicero-Kolumnist Mathias Brodkorb auf X bemerkte: Um nahezulegen, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck ein ethnisches Volksverständnis hat, wurde in der Zeitung scheinbar aus dem Gutachten direkt zitiert: „Wir müssen auch wieder entscheiden dürfen, wer überhaupt zu diesem Volk gehört und wer nicht. Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur ’ne Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben.“
Weiter wird die Aussage von Gnauck wiedergegeben: „Uns alle hier auf diesem Marktplatz verbindet viel mehr als nur eine gemeinsame Sprache. Uns verbindet ein unsichtbares Band, was man einfach nicht erklären muss. Jeden Einzelnen von euch verbindet mehr mit mir als irgendein Syrer oder irgend Afghane, und das muss ich nicht erklären, das ist einfach ein Naturgesetz.“
Doch Bild hat in ihrer Berichterstattung eine entscheidende Passage weggelassen, ohne es entsprechend anzugeben. Diese Passage ist auch im Verfassungsschutzgutachten zu finden: „Dieses Volk hier, das ist gewachsen durch jahrhundertelange Tradition, durch gemeinsame Bräuche, durch gemeinsame Geschichte und auch gemeinsame Schicksalsschläge. Und wir sind verpflichtet, diese Geschichte, diese Bräuche und diesen Geist des Deutschen zu bewahren.“ Gnauck definiert in seiner Aussage das Volk somit nicht ethnisch, sondern kulturell, wie die von der Bild weggelassene Passage zeigt. Ohne diese Passage liegt die Interpretation eines „ethnischen Volksbegriffs“ viel eher nahe.
Auch sonst wurden sowohl im Spiegel als auch in anderen Medien Zitate aus dem Gutachten nur gekürzt dargestellt. Unklar ist dabei, ob die Zitatkürzungen, die, wie man sieht, die Aussagen von AfD-Politikern verfälscht dastehen lassen haben, durch die Zeitungen vorgenommen wurden oder bereits durch Mitarbeiter des Bundesverfassungsschutzes, die die Zitate und Auszüge aus dem Gutachten an Medien weitergegeben haben.