
Ein bislang unveröffentlichter Sonderbericht der Juristin und ehemaligen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Margaretha Sudhof (SPD), die von Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzt wurde, attestiert dem Bundesgesundheitsministerium unter Spahn massive Versäumnisse und mangelhafte Kontrolle bei der Vergabe milliardenschwerer Maskenaufträge (Apollo News berichtete).
Laut dem Bericht, aus dem NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung zitieren, habe Spahn „nachweislich gegen den Rat seiner Fachabteilungen“ entschieden, das Beschaffungswesen zentral im Gesundheitsministerium zu bündeln. Die Rede ist von einem „Drama in Milliardenhöhe“: Masken im Wert von rund sechs Milliarden Euro seien beschafft worden, von denen zwei Drittel letztlich nicht benötigt wurden.
Problematisiert wird zudem der Kommunikationsstil des ehemaligen Gesundheitsministers und heutigen Unions-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Ähnlich wie Ursula von der Leyen, die milliardenschwere Impfstoffbestellungen mutmaßlich per SMS abgewickelt hat, habe Spahn sensible Abstimmungen über private E-Mail-Adressen und Messenger-Dienste geführt. Auch sei die Aktenführung im Ministerium chaotisch gewesen, teils nur in Form von Loseblattsammlungen dokumentiert.
Besonders brisant: Das Bundesamt für Ausrüstung der Bundeswehr sowie das Beschaffungsamt des Innenministeriums hätten frühzeitig vor dem sogenannten Open-House-Verfahren gewarnt, bei dem allen Anbietern pauschal 4,50 Euro pro FFP2-Maske angeboten wurde. Die Warnungen seien von Spahn ignoriert worden. Infolge der massenhaften Zusagen kam es zu logistischen Engpässen und zahlreichen Vertragsstreitigkeiten – laut Sudhof drohen dem Staat heute noch Zahlungen in Milliardenhöhe.
Völlig zu Recht hat deshalb auch die Grünen-Haushaltspolitikerin Paula Piechotta die massive Geldverschwendung im Zusammenhang mit der Beschaffung von Masken angeprangert: „Er [Jens Spahn] hat zwanzig Mal mehr Masken gekauft, als er kaufen sollte. Er hat zwanzig Mal mehr Geld ausgegeben, als er ausgeben sollte. Wir werden in den nächsten Jahren noch von dutzenden Maskenhändlern verklagt und müssen wahrscheinlich als deutsche Steuerzahler noch mal 3,5 Milliarden Euro zahlen – zusätzlich zu den fast 6 Milliarden Euro, die wir schon bezahlt haben“, sagte sie im Bericht aus Berlin.
Aus ihrer Sicht werfe die Maskenbeschaffung Spahns „ernsthafte Fragen auf, die mit Überforderung allein nicht erklärt werden können“. Es könne nicht sein, dass Milliardenaufträge an Firmen im persönlichen Umfeld vergeben worden seien, obwohl zahlreiche Fachleute davon abgeraten hätten. Piechotta kritisierte zudem, dass der Bundestag bis heute keinen vollständigen Einblick in den Bericht erhalten habe – ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.
Jens Spahn wies die Anschuldigungen im Gespräch im Bericht aus Berlin nicht nur entschieden zurück, sondern sah sich seinerseits dazu veranlasst, die Berichterstattung der ARD zu kritisieren: „Wenn selbst in der öffentlich-rechtlichen ARD von Maskendeals geredet wird, wenn es um die Beschaffung in der Jahrhundertkrise durch den Bund geht, dann scheint mir doch etwas verrutscht zu sein.“ Daneben verwies Spahn auf die vermeintlich dramatische Notsituation im Frühjahr 2020: „In Bergamo in Norditalien waren die Intensivstationen überfüllt. Militärfahrzeuge haben Leichen abtransportiert.“ Masken, so Spahn weiter, seien in dieser Situation „maximaler Not“ damals schlicht nicht zu bekommen gewesen: „Es war Wilder Westen.“
Die Intention von Spahn dabei liegt auf der Hand: Er weiß, dass er in der Sache selbst nichts zu seiner Verteidigung vorzubringen hat und nur verlieren kann, wenn er sich auf eine Auseinandersetzung um die tatsächlichen Sachfragen einlässt. Deshalb lässt er sich erst gar nicht auf einen Verteidigungskampf auf verlorenem Posten ein, sondern dreht den Spieß bewusst um – getreu dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Spahns Ziel ist es, seine ufer- und in jeder Hinsicht maßlose Maskenbeschaffung jenseits aller dafür vorgesehenen Grenzen und entgegen interner Warnrufe nicht etwa als massive Verschwendung von Steuermitteln, sondern im Gegenteil als einen heroischen Akt im Kampf gegen die „Jahrhundertpandemie“ darzustellen.
Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, weshalb Spahn so viel Wert darauf legt, die damalige Situation möglichst dramatisch, geradezu als den Wilden Westen, erscheinen zu lassen. Denn nur eine absolute Ausnahmesituation, in der alle Regeln außer Kraft gesetzt sind, wäre in der Lage, sein Handeln zu rechtfertigen und sein Fehlverhalten zu relativieren – schließlich kennt Not bekanntlich kein Gebot. Zu diesem Zweck instrumentalisiert er dann auch die längst als Legende entlarvten „Bilder aus Bergamo“ und betreibt damit aktive Mythenbildung und Geschichtsklitterung.
Auch seine Ausflucht, wonach die etablierte Beschaffungsstruktur mit Blick auf Masken nicht funktioniert habe und Masken damals schlicht nicht zu bekommen gewesen seien, weswegen das Gesundheitsministerium quasi notgedrungen habe einspringen müssen, läuft ins Leere. Denn gerade die Tatsache, dass Deutschland in Folge von Spahns Maskendeals von Unmengen überflüssiger und überteuerter Masken wortwörtlich überschwemmt wurde, widerlegt Spahns Schutzbehauptung, dass Masken knapp gewesen seien und nur durch sein eigenmächtiges Vorgehen beschafft werden konnten.
Ebenso verhält es sich auch mit seinem zur Schau gestellten Unverständnis darüber, dass mit seinen Maskendeals nun ein Bereich des politischen Corona-Managements im Fokus der Öffentlichkeit steht, der gerade einmal für „anderthalb Prozent der Kosten“ in Höhe von 440 Milliarden Euro verantwortlich ist. Dass es möglicherweise problematisch sein könnte, in völlig intransparenten Verfahren Unsummen für letztlich unnötige Masken verpulvert zu haben, kommt Spahn erst gar nicht in den Sinn. Mit dieser Bagatellisierung illustriert er nicht nur den Größenwahn der Corona-Jahre, während der mit schwindelerregenden Milliardenbeträgen nur so um sich geworfen wurde und (Steuer-)Geld plötzlich keine Rolle mehr zu spielen schien, sondern auch sein mangelndes Problembewusstsein.
Zudem zielt Spahn mit dem Verweis auf die im Gesamtkontext der Pandemie vermeintlich verschwindend geringen Kosten seines außerplanmäßigen Beschaffungsprogramms bewusst darauf ab, die Verantwortung von sich auf eine überpersönliche Ebene zu verschieben. Nicht er als individueller Akteur, sondern die Gesellschaft und Politik als solche hätten kollektiv Fehler begangen. Und wenn alle Fehler gemacht haben, hat im Grunde niemand etwas falsch gemacht – und dann kann praktischerweise auch niemand mehr zur Verantwortung gezogen werden.
Letztlich wird auch seine Forderung, zur Aufarbeitung der Pandemie eine Enquete-Kommission im Bundestag einzurichten, nur dann verständlich, wenn man sich klarmacht, dass es Spahn in erster Linie darum geht, die Verantwortung für die Corona-Politik zu entpersonalisieren und zu vergemeinschaften: Statt sich dem Wunsch nach Aufarbeitung offen entgegenzustellen, reklamiert Spahn diese Forderung für sich, um sie dann in ungefährliche Bahnen zu lenken und um mit seinen eigenen Fehlleistungen in der Masse der darin aufgeworfenen Probleme und Missstände gleichsam unterzugehen und zu verschwinden.
Dass Spahn entgegen seiner öffentlichen Beteuerungen keinerlei Interesse an einer transparenten Aufarbeitung seiner Maskendeals hat, wird parallel auch dadurch ersichtlich, dass er und seine Bundestagsfraktion einen entsprechenden Untersuchungsausschuss ablehnen – wie im Übrigen auch die SPD, für die Karl Lauterbach einst angekündigt hatte, mit Blick auf Spahns Maskenbeschaffung „jeden Stein umdrehen“ zu wollen. Zustandekommen könnte ein solcher Ausschuss theoretisch trotzdem. Sowohl Grüne als auch die AfD haben sich für dessen Einsetzung ausgesprochen und kämen gemeinsam auf die nötigen 25 Prozent der Stimmen im Bundestag. Problem nur: Die Grünen weigern sich aufgrund ihrer starren Brandmauer-Doktrin kategorisch, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen – und verhindern auf diese Weise ebenjene Aufklärung, die sie öffentlich einfordern.