„Wirtschaftsweiser“ will gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro – Wirtschaftsministerin will neue Berater

vor 4 Tagen

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, fordert eine deutliche Anhebung des Mindestlohns. „Sollte die Mindestlohnkommission darunter bleiben, muss die Koalition eingreifen und den Mindestlohn per Gesetz auf 15 Euro anheben“, sagte der sogenannte Wirtschaftsweise dem Magazin Politico. Die Verantwortung sieht Truger bei der Bundesregierung: „Es ist ein gesetzlicher Mindestlohn, letztlich liegt die Entscheidung bei der Politik – das sind ja keine Tarifverhandlungen“.

Damit greift der von den Gewerkschaften in den Sachverständigenrat berufene Professor das bisherige Mindestlohngesetz massiv an – er hält das nicht nur für sozialpolitisch geboten, sondern auch für wirtschaftlich vertretbar.

Truger widerspricht dem Argument, ein höherer Mindestlohn könne Arbeitsplätze kosten. Diese Sorgen hält er für unbegründet. Zwar habe es nach der Einführung einen Rückgang bei Minijobs gegeben, doch insgesamt seien keine negativen Beschäftigungseffekte erkennbar. Ein höherer Mindestlohn könne sogar die Produktivität steigern. „Mit 15 Euro wird es möglicherweise ein paar billige Restaurants weniger geben, aber nicht weniger Arbeit“, so Truger.

Das ist eine etwas arrogante Behauptung: Dem wohlbestallten Professor vom Sachverständigenrat mit Doppeleinkommen und einem dritten Einkommen aus aufgrund seiner Position hoch vergüteten Vorträgen mag es auf ein preiswertes Mittagessen oder einen erschwinglichen Kneipenbesuch nicht ankommen. Der Bevölkerung schon.

Derzeit liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 12,81 Euro. Eine Erhöhung auf 15 Euro würde einem Plus von rund 17 Prozent entsprechen – Deutschland hätte dann den höchsten Mindestlohn unter allen Industrieländern. „Das Feintuning könnte dann in Zukunft wieder die Mindestlohnkommission übernehmen“, so Truger.

Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission betont, schrieben aber, dass 2026 ein gesetzlicher Mindestlohn von 15 Euro erreichbar sein sollte. Die Entscheidung der Kommission wird bis zum 30. Juni erwartet.

Während Truger auf staatliche Eingriffe drängt, stellt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) offenbar die Weichen für eine fundiertere Wirtschaftspolitik. Wie das Handelsblatt berichtet, will sie einen neuen Beraterkreis einrichten, der sich aus führenden Ökonomen zusammensetzt.

Zu den voraussichtlichen Mitgliedern sollen laut Regierungskreisen Veronika Grimm, Justus Haucap und Volker Wieland gehören. Alle drei sind profilierte Stimmen in der wirtschaftspolitischen Debatte: Grimm ist amtierende „Wirtschaftsweise“, Haucap war Vorsitzender der Monopolkommission, Wieland war langjähriges Mitglied des Sachverständigenrats.

Reiche will sich künftig direkte Ratschläge – sowohl bei kurzfristigen als auch grundlegenden Fragen. Die Ökonomen sollen ehrenamtlich beraten, nicht im Ministerium angestellt werden und weiterhin unabhängig öffentlich auftreten und kommunizieren. Offiziell bestätigt ist das Berater-Gremium allerdings noch nicht – im Wirtschaftsministerium laufen derzeit noch interne Abstimmungen, auch über die genaue Zusammensetzung. Zudem müssten vor dem offiziellen Start noch Formalien geklärt werden.

Der bisherige Sachverständigenrat ist offenbar an sein Ende gekommen. Truger hatte schon früh ein Aussetzen der Schuldenbremse gefordert, und ist so ganz auf Regierungslinie. So stellte er im Jahresgutachten 2022/2023 dem damaligen Finanzminister Christian Lindner schon eine Vorschussabsolution für 2023 aus: „Die ökonomischen Folgen des Angriffskrieges und die Energiekrise könnten das erneute Aussetzen der Schuldenbremse auch im Jahr 2023 rechtfertigen.“ Richtig heiß wurde es im Rat aber wegen eines Konflikts zwischen den drei führenden Damen des Rates, von denen nur eine wirtschaftspolitische Expertise besitzt: Veronika Grimm.

Die Vorsitzende Monika Schnitzer beschäftigt sich mit weltfernen mathematischen Modellen der Spieltheorie; ein theoretisches Gebiet, das wenig Bezug zu den klassischen Themen der Wirtschaftspolitik wie Haushalt, öffentliche Finanzen und Arbeitsmarkt aufweist. Sie geriet mit Veronika Grimm, ihrer Kollegin im Rat, übers Kreuz, die sich zunehmend kritisch zur Energiepolitik äußerte. In einer E-Mail an Grimm – in Kopie an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt sowie die Minister Christian Lindner und Robert Habeck – sprach sie zusammen mit den anderen Ratsmitgliedern Achim Truger, Ulrike Malmendier und Martin Werding von „möglichen Interessenkonflikten“ bei Themen, die für die zukünftige Arbeit des Sachverständigenrats von zentraler Bedeutung sein werden. Wie stilvoll, einen internen Konflikt auf diese Art und Weise vor denjenigen auszutragen, denen man gefallen will. Man soll Grimm sogar den Rücktritt aus dem Gremium nahegelegt haben. Hintergrund war ein Aufsichtsratsmandat, das Grimm im Dezember 2023 bei Siemens Energy angenommen hatte.

Monika Schnitzer wiederum kämpft seit langem dafür, den Rentnern den Stecker zu ziehen. 2023 schlug die von der SPD ins Amt einer „Wirtschaftsweisen“ entsandte Professorin vor, dass Witwenrenten künftig wegfallen sollen und Rentensteigerungen weitgehend ausgeschlossen werden, ab circa 1.500 Euro im Monat. Nur Beamtenpensionen wie ihre eigene sollten natürlich weiter mit Inflation und Einkommen steigen dürfen.

Letztlich hat der Sachverständigenrat sich mit diesen Vorgängen und Vorschlägen selbst beerdigt: das „Verpetzen“ von Mitgliedern bei den kritisch zu beratenden Politikern ist nicht nur peinlich. Mit diesem Verhalten hat der Rat sich selbst der Lächerlichkeit preisgegeben. Und was die wirtschaftspolitische Beratung angeht: „Aus einem unabhängigen Expertengremium ist ein Rat zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln geworden“, bilanzierte TE bereits 2023:

Die Berufung eines neuen Ratgeber-Gremiums durch Wirtschaftsministerin Reiche könnte der Beginn einer neuen wirtschaftspolitischen Ausrichtung sein. Während Truger als Mitglied des Sachverständigenrates für mehr staatliche Lenkung, etwa beim Mindestlohn, setzt Reiche womöglich auf eine Rückkehr zu den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft. Die Frage, ob der Mindestlohn kurzfristig auf 15 Euro angehoben wird, könnte zum Prüfstein werden – für Reiches Anspruch, wirtschaftliche Entscheidungen künftig ordnungspolitisch zu fundieren.

Die Wirtschaftspolitik steht damit vor der Frage: mehr sozialer Ausgleich oder mehr marktwirtschaftliche Vernunft? Die kommenden Wochen werden zeigen, welche Politik die neue Wirtschaftsministerin wählt und wie groß der Einfluss ihrer ökonomischen Ratgeber sein wird – und vor allem, ob sich Reiche in der Regierungskoalition mit der SPD mit einem neuen Kurs hin zur Marktwirtschaft wird durchsetzen können.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel