
Mit seinen Aussagen über Israel löste Außenminister Johann Wadephul auch in der eigenen Partei erhebliche Störgefühle aus, der sozialdemokratische, traditionell „israelkritische“ Koalitionspartner hingegen stellte sich hinter ihn. Die Unionsfraktion fing Wadephul erst einmal wieder ein, seither umging er Fettnäpfe. Ob das so bleibt?
Der Nahe Osten bleibt auch für die deutsche Außenpolitik vermintes Gelände. Auf diesem bewegte sich Annalena Baerbock recht ungeschickt, abendliche Diners mit Israelhassern und permanente Belehrungen an die Adresse Jerusalems sorgten für reichlich Verstimmung. Von Johann Walter David Rudolf Wadephul, seit dem 6. Mai 2025 Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland im Kabinett Merz, erhoffte man sich ein diplomatischeres Auftreten.
Wenige Tage nach seiner Vereidigung führte sein Antrittsbesuch nach Israel, wo er seinen Gastgebern versicherte, die Sicherheit des jüdischen Staates bleibe deutsche Staatsräson, und in die Palästinensischen Autonomiegebiete des Westjordanlandes. Von heftigen Auseinandersetzungen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist nichts bekannt, auf dem internationalen Parkett schien Baerbocks Nachfolger trittsicher, auch wenn er um die gebetsmühlenartig vorgetragene Behauptung, für eine dauerhafte Beendigung des Konflikts komme nur ein politischer Prozess infrage, nicht herumkam. Wadephul mahnte zu einem Wiedereinstieg in „ernsthafte Verhandlungen“ über eine Waffenruhe im Gazastreifen, wo die israelische Armee seit mehr als anderthalb Jahren an der Vernichtung der terroristischen Hamas arbeitet.
Wadephul bei seinem Antrittsbesuch in Jerusalem mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.
Auch für die klinisch tote Zweistaatenlösung machte sich der deutsche Außenminister stark, die allerdings nach dem 7. Oktober 2023 nur eine Belohnung für den Mega-Terror der Palästinenser bedeuten würde und heute ferner scheint denn je. So weit, so üblich. Wadephul merkte aber an, er sei „nicht sicher, ob alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können und ob dies langfristig der Sicherheit Israels dient“. Die Israelis hätten es ihm erklären können, aber offenbar ließ der Außenminister hier einen ersten Versuchsballon steigen. „Die humanitäre Situation im Gazastreifen ist mittlerweile unerträglich geworden“, meinte Wadephul. Deutschland müsse „sichergehen, dass es keine ethnischen Säuberungen und keine dauerhafte Besatzung des Gazastreifens gibt“.
Dieser Ton verstörte. Und Wadephul legte nach. Beim WDR-Europaforum auf der Digitalmesse re:publica sorgte Wadephul mit diesem Statement für Aufsehen:
„Der Kampf der Bundesregierung gegen Antisemitismus und die vollständige Unterstützung des Existenzrechts und der Sicherheit des Staates Israel dürfen nicht instrumentalisiert werden für die Auseinandersetzung, für die Kampfführung, die derzeit im Gazastreifen betrieben wird. So lassen wir uns politisch auch als deutsche Bundesregierung bei aller Schwierigkeit, die dort besteht, nicht unter Druck setzen und in eine Position bringen, dass wir zu einer Zwangssolidarität gezwungen werden. Die wird es in der Form nicht geben können.“
Nicht nur Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, empfand den Begriff „Zwangssolidarität“ als problematisch und fühlte sich an „linksextreme Rhetorik“ erinnert. Wadephul unterstrich die Kritik von Bundeskanzler Friedrich Merz an der israelischen Kriegsführung und betonte, dass die Verhältnismäßigkeit überschritten sei. Er machte deutlich, dass künftige Waffenlieferungen an Israel vom Bundessicherheitsrat unter Berücksichtigung des Völkerrechts geprüft werden:
„Kanzler Friedrich Merz und ich selbst haben darauf hingewiesen, dass die Kriegsführung, so wie sie im Gazastreifen stattfindet, von uns sehr kritisch gesehen wird und dass wir dort die große Gefahr der Verletzung sehen. Wenn sich das konkretisiert, wird dies auch bei künftigen Beratungen über Waffenlieferungen im geheim tagenden Bundessicherheitsrat ein Punkt sein.“
Die israelische Armee überschreite in Gaza die Grenzen der Verhältnismäßigkeit – „in der Dauer, in der Härte, in der Konsequenz, wie die israelische Armee dort vorgeht“, behauptete Wadephul. Und: „Wir stehen zum Staat Israel, aber wir stehen auch zu den Menschen im Gazastreifen“ – also auch zu einer Bevölkerung, die den Terror der Hamas weit überwiegend gutheißt und unterstützt. Eine ambitionierte Haltung.
Treffen mit Angehörigen der israelischen Geiseln, die in Gazas Verliesen sitzen.
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung ging Wadephul dann noch einen Schritt weiter und kündigte eine Überprüfung der deutschen Waffenexporte an Israel an. Man werde prüfen, „ob das, was im Gaza-Streifen geschieht, mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen ist“. Am Ende, so Wadephul, könne es dazu kommen, dass Waffenlieferungen nach Israel nicht mehr genehmigt würden.
In der Union lösten diese Worte massive Irritation aus, insbesondere bei der CSU. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann kritisierte Wadephuls Ansatz offen: „Freunde kann man kritisieren, aber nicht sanktionieren. Das wäre das Ende der Staatsräson gegenüber Israel, und das ist mit der CSU nicht zu machen.“ Die Welt zitierte einen CDU-Abgeordneten und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags mit den Worten: „Ich bin angesichts der Äußerungen des Ministers entsetzt und schockiert. In meiner Stadt fragt man sich, ob wir noch hinter Israel stehen.“ Noch immer seien israelische Geiseln in den Händen der Hamas, „und wir betreiben hier Appeasement-Politik“.
„Was hier passiert, ist außenpolitisches Harakiri“, soll ein CDU-Fraktionsmitglied gesagt haben, und CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter wies darauf hin, dass die Hamas „einen Vernichtungskrieg gegen Israel in völliger Rücksichtslosigkeit gegen die Bevölkerung in Gaza führt“. Den Unmut in der eigenen Partei bekam Wadephul zu spüren, als er in die Fraktionsvorstandssitzung geladen wurde, offenbar, um dort „eingenordet“ zu werden. Der Außenminister habe eine Grenze überschritten.
Tatsächlich hat Bundeskanzler Friedrich Merz das Problem, dass der Koalitionspartner SPD eine ausgesprochen israelfeindliche Haltung vertritt, in der Vergangenheit „gemeinsame Werte“ mit der Fatah beschwor, NIUS berichtete. In den vergangenen Tagen äußerten sich die Genossen reihenweise zum Gaza-Krieg, natürlich mit betont „israelkritischer“ Positionierung. Was dort geschehe, so Ralf Stegner, „das geht gar nicht“. Er behauptete, dass die israelische Regierung „permanent gegen humanitäre Grundsätze verstößt“ und führe „seit dem Terrorangriff einen Krieg ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.“ Die aktuelle Politik Jerusalems treibe junge Palästinenser „in die Arme von Extremisten“, als befänden sie sich nicht schon seit Kindertagen dort.
Lars Klingbeil, SPD-Chef und Vizekanzler, appellierte an Israel, sich „an das Völkerrecht zu halten“, Adis Ahmetovic (außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion) sprach vom „Bruch des Völkerrechts“, ebenso wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori. Da überrascht es nicht, dass sich die Sozialdemokraten hinter den Christdemokraten Wadephul stellten.
Am Montag traf sich Wadephul mit Abbas Araghtschi, dem iranischen Außenminister, der sich danach hochzufrieden zeigte. Laut IRNA habe Wadephul „Freude“ über das Gespräch mit dem Außenminister des Regimes ausgedrückt – und das, obwohl er als Oppositionsabgeordneter harte Worte für „das mordende und folternde Regime“ gefunden hatte, das „eine Gefahr für den Westen“ sei und ausgegrenzt gehöre.
Unterscheidet sich Wadephuls „Außenpolitik aus einem Guss“ von der Amtsführung seiner Vorgängerin Baerbock? Entwickelt sich Johann Wadephul zum Problembären der CDU? Ist er einer, der genügend Angriffsfläche bietet? Einen ernsten Koalitionskrach heraufbeschwört?
Eben gab Altkanzlerin Angela Merkel ein Live-Interview in Prag, in dem sie sich von Israels Premier Netanjahu distanzierte und von „Erbarmungslosigkeit gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen“ sprach. „Das kann mich aber nicht dazu bringen, dass ich sage, nun werde ich aber Israel in seinem Kampf um seine Existenz nicht mehr unterstützen“, so Merkel – eine Anspielung auf Merz’ und Wadephuls irritierende Aussagen zu Waffenlieferungen an Israel?
Bei der Befragung der Bundesregierung gestern im Parlament leistete sich der Außenminister keine Entgleisung. Er treffe sich am Tag darauf mit seinem israelischen Amtskollegen Gideon Sa’ar (den er später als „guten Ansprechpartner“ bezeichnete) und habe seine erste Reise „ganz bewusst nach Israel gemacht“. Er bekräftigte die Sicherheit Israels schon in seiner Einleitung als Staatsräson: „Nie wieder ist jetzt muss nach wie vor für uns gelten.“
Johann Wadephul bei der Regierungsbefragung am Mittwoch.
Der Grünen Deborah Düring beschied er: „Deutschland wird weiterhin Israel auch mit Waffenlieferungen unterstützen.“ Die über 40 Fragen und Nachfragen parierte Wadephul größtenteils souverän, wenn auch öfter in den Phrasenbaukasten greifend. Von Rainer Kraft (AfD) gefragt, wie viele Afghanen ohne Überprüfung eingeflogen worden seien, reagierte Wadephul unleidlich und behauptete, dies sei eine Unterstellung ohne Tatsachengrundlage – was nicht stimmt, NIUS berichtete.
Wo die Regierung Zusagen gemacht habe, halte sie diese natürlich ein, meinte der Außenminister, der auch zur Zurückweisung von Migranten an den Grenzen befragt wurde, obwohl diese in den Zuständigkeitsbereich seines Kollegen Dobrindt fällt. Er wies dann aber beharrlich darauf hin, dass das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts ein erstinstanzliches gewesen sei, womit er bei den Grünen Empörung erntete. Aufforderungen von Abgeordneten der Linken, Ungarn wegen des Transparenzgesetzes hart anzugehen, erteilte er eine Absage, man werde „in konstruktiver Weise“ miteinander sprechen.
In seiner Antwort auf die israelfeindlichen Bemerkungen von MdB Katrin Fey (Linke), die von einer randalierenden Frau auf der Tribüne unterbrochen wurde, die wild herumschrie und „Free Palestine!“ brüllte, erinnerte Wadephul die Linke an die Debattenkultur. Wenige Minuten zuvor war die Abgeordnete Cansın Köktürk wegen des „Palestine“-T-Shirts, das sie trug, von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner des Saales verwiesen worden.
Dass die Linke Cansın Köktürk mit einem T-Shirt provozierte, fand Wadephul unangemessen.
„Wie bekommen wir Netanyahu vor den Strafgerichtshof?“, fragte Fey nach. Hier hätte man sich von Wadephul noch einmal Klartext gewünscht, stattdessen zog er sich auf die sichere formale Ebene zurück und verwies auf die noch nicht geklärte Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.
Nun wollte der AfD-Abgeordnete Rainer Kraft noch einmal wissen, wann die Bundesregierung die Zahlungen an die in den Hamas-Terror involvierte UNRWA in dreistelliger Millionenhöhe einstelle. Es bestehe „dringender Reformbedarf“, so Wadephul, es gebe einen „Überprüfungsprozess“ und „jede Zuweisung von Mitteln wird davon abhängig gemacht“. Das wird zu beobachten sein.
Insgesamt ein solider Auftritt, mit dem Wadephul sich selbst bis auf Weiteres aus der Schusslinie genommen haben dürfte.
Fun Fact: Abgesehen von Helmut Schmidt, der als Kanzler im Herbst 1982 gegen Ende noch zwei Wochen kommissarisch als Außenminister fungierte und daher eigentlich nicht zählt, ist Sigmar Gabriel (SPD) der deutsche Außenminister mit der kürzesten Amtszeit (2017/2018) mit 411 Tagen. Wenn Wadephul den Negativrekord nicht brechen möchte, sollte er weitere Diskussionen über verbale Fehltritte in eigenem Interesse vermeiden. Mit Problembären wird schon mal kurzer Prozess gemacht.
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