
Der ehemalige Verfassungsrichter Peter M. Huber hat im Zuge der Debatte um Frauke Brosius-Gersdorf davor gewarnt, ideologisierte Richter am Bundesverfassungsgericht einzusetzen. Zwar brachte er diese Einstufung im Gespräch mit ThePioneer nicht direkt eindeutig mit Brosius-Gersdorf in Verbindung, genau dieser Vorwurf war der Rechtsprofessorin aber wegen früherer Arbeiten gemacht worden.
Huber war von 2010 bis 2023 als Richter im zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, also dem, in den Brosius-Gersdorf eigentlich am 11. Juli gewählt werden sollte, tätig. Er erklärte: „Man sollte als Verfassungsrichter kein Ideologe sein, sondern so offen, dass man von der Mitte aus nach allen Seiten anschlussfähig ist.“ Dahingehend warnte er, „je expliziter eine politische Vorpositionierung ist, desto schwieriger wird es, diese Offenheit zu zeigen.“
Er skizzierte gegenüber ThePioneer zwei Arten von Richtern und unterschied dafür zwischen Berufsrichtern und ehemaligen Professoren. „Menschen, die als Richter in der Justiz sozialisiert sind, wollen – etwas zugespitzt gesagt – typischerweise am liebsten hinter verschlossenen Türen ihre Fälle lösen. Professoren hingegen tragen ihre Überzeugungen eher extrovertiert auf der Zunge“, führte der Münchner Professor für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie weiter aus.
Bereits vor der letztlich abgesagten Richterwahl im Bundestag hatte sich Huber gegenüber dem Focus zu der Debatte geäußert und erklärt, starke Meinungen eines Richters würden dem Bundesverfassungsgericht zunächst nicht schaden. Aber „am Ende kommt es darauf an, wie man sich in der Richterrolle verhält und ob man bereit ist, dazuzulernen, von früheren Meinungen abzuweichen und Kompromisse zu schließen“, betonte der Rechtswissenschaftler.
Brosius-Gersdorf war nach zahlreichen Medienberichten über frühere Arbeiten, in denen sie beispielsweise eine Impfpflicht aus dem Grundgesetz ableitete oder über die Menschenwürde bei ungeborenem Leben philosophierte, in die Kritik geraten. Obwohl die von der SPD vorgeschlagene Professorin im Wahlausschuss noch von der Union mitgetragen wurde, kam es kurz vor der Abstimmung am 11. Juli zum Eklat, große Teile der christlichen Bundestagsabgeordneten wollten nicht für sie stimmen.
Die Richterwahl wurde letztlich abgesagt, Brosius-Gersdorf bekam dann die Möglichkeit, sich bei Markus Lanz zu den Vorgängen zu äußern. Dort verteidigte sie auch ihre Standpunkte als Wissenschaftlerin (mehr dazu hier) und begründete das auch mit aktuellen Umfragen zu den jeweiligen Themen. Für Huber war aber bereits zuvor klar: „Die Frau Brosius-Gersdorf vorgehaltenen und hitzig diskutierten Positionen sind in der Gesellschaft wie unter Verfassungsrechtlern jedenfalls nicht mehrheitsfähig.“
Vor allem mit Berichten über Brosius-Gersdorfs Arbeiten zur Frage der Menschenwürde bei ungeborenem Leben hatte die Debatte rund um Abtreibung vor der Richterwahl Fahrt aufgenommen. Ihre Standpunkte stehen dabei auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 1993 gegenüber, das die Menschenwürde auch dem ungeborenen Leben zuschreibt (mehr dazu hier).
Neben der Kritik an Brosius-Gersdorf gab es aber auch zahlreiche Richter, die die Rechtswissenschaftlerin unterstützten. In einem öffentlichen Brief hatten nach der gescheiterten Wahl 300 Rechtsgelehrte den Umgang und die offenbar fehlende Vorbereitung auf die Wahl kritisiert.
„Wir protestieren nachdrücklich gegen die Art und Weise, wie im Rahmen der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht in der Politik und in der Öffentlichkeit mit Frauke Brosius-Gersdorf umgegangen wurde“, hieß es da. Unterzeichnet wurde dieser Brief auch von vier ehemaligen Verfassungsrichtern.