
7 Uhr morgens, zwei Beamte der Polizei klingeln an der Tür eines Mannes aus dem Allgäu (Name der Redaktion bekannt), haben einen Durchsuchungsbeschluss in der Hand: Sie sollen nach volksverhetzenden Darstellungen und EDV-Geräten jedweder Art, insbesondere Mobiltelefonen, Tablets, Laptops und Computern Ausschau halten – und diese gegebenenfalls beschlagnahmen.
Auslöser: eine Karikatur.
Das Bild zeigt in Zeichentrick-Manie einen muskulösen Mann, der den Kopf eines am Boden liegenden, weniger muskulösen Menschen zerquetscht. Statt der Gesichter sieht man die jeweiligen Logos zweier gesellschaftlicher Bewegungen: der des „Pride-Months“ und der des „Stolzmonats“, wobei der Sieger des gewaltsamen Kampfes Letzterer war. Vorbild war eine Karikatur aus dem Jahr 2014, die durch das Netz ging, als Deutschland bei der WM in Brasilien die Gastgeber mit 7:1 deutlich besiegte.
Für das Gericht ist das Bild der Aufruf zu Gewalt gegen eine bestimmte Gruppe und Volksverhetzung.
„Ich war einfach genervt davon, dass immer und überall diese Regenbogenflagge eine Rolle spielt, auch beim Fußball. Die ganze WM in Katar wurde nur über diese Armbinde diskutiert, aber ich will einfach nur Fußball schauen – ohne Politik“, so der Mann, der die Karikatur erstellt hat, zu NIUS. „Dass die Karikatur geschmacklos ist, war mir klar und das sollte sie auch. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass die eine Bewegung stärker ist als die andere und sie besiegt, so wie Deutschland damals Brasilien – dass Geschmacklosigkeit strafbar ist, wusste ich nicht.“
Diese Karikatur ging 2014 nach dem 7:1 Deutschlands bei der WM in Brasilien über die Gastgeber durchs Netz. Sie war die Vorlage für die Karikatur, die nun Volksverhetzung sein soll.
Im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) heißt es wörtlich: „Wie der Beschuldigte wusste, war die Darstellung geeignet, derartig aufgezeigte Gewaltmaßnahmen gegenüber Menschen, welche der sog. ‚LGBTQ-Community-Bewegung‘ angehören, hervorzurufen. Dem Beschuldigten kam es hierbei darauf an, das Recht von inländischen Mitbürgern mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten, als gleichwertige Personen, die in der staatlichen Gemeinschaft leben, zu bestreiten und diese im Kernbereich ihrer Persönlichkeit herabzusetzen, indem er diesen in besonders zynischer Weise das Lebensrecht abstritt.“
Auf die Hausdurchsuchung folgte ein Strafbefehl über 90 Tagessätze und insgesamt 5400 Euro, die der Mann aus Furcht, in einer Hauptverhandlung eine noch schwerere Strafe zu erhalten und dann vorbestraft zu sein, annahm. Auch in der dortigen Begründung wird dem Mann unterstellt, Gewalt gegen Menschen der LGBTQ-Community mindestens in Kauf genommen zu haben.
Ein Auszug aus dem Strafbefehl, der eine Strafe von 90 Tagessätzen und insgesamt 5400 Euro verhängte.
Wörtlich heißt es im Strafbefehl zudem: „Sie werden daher beschuldigt, in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zu Gewaltmaßnahmen aufgefordert zu haben.“
Der Mann zu NIUS: „Das ist vollkommen überzogen – da fehlen mir die Worte.“
Seit Jahren und Jahrzehnten feiern Aktivisten, Institutionen und zahlreiche Unternehmen dem Zeitgeist entsprechend den Juli als sogenannten „Pridemonth“, um auf die Rechte von Homosexuellen und Transmenschen aufmerksam zu machen. Als Zeichen der Solidarität werden Profilbilder durch Regenbogenflaggen getauscht, eben jene vor Gebäuden und Behörden gehisst und auch verschiedenste Produkte wie Zahnpasta oder Gummibärchen in Regenbogenfarben – mit Aufpreis – verkauft.
Als eine Art patriotische Gegenbewegung hatte sich 2023 der sogenannte „Stolzmonat“ gegründet, um den zahlreichen Regenbogenflaggen im Netz mit einer Abwandlung der Deutschlandflagge und verschiedenen Guerilla-Aktionen zu begegnen. Botschaft: Die gleichen Rechte aller Menschen unabhängig von Herkunft, Sexualität, Geschlecht oder Religion sind längst im Grundgesetz verankert – warum also nicht darauf und auf Deutschland im Allgemeinen stolz sein. Inzwischen wurde die Stolzmonat-Bewegung wegen angeblicher Verbindungen in rechtsextreme Kreise vom Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachen erwähnt, der dafür aber heftig kritisiert worden ist.
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