Kretschmer, Wadephul, Spahn: Der AfD-Umgang spaltet die CDU – und könnte die Koalition mit der SPD gefährden

vor 12 Tagen

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Bildquelle: NiUS

Es sind bemerkenswerte Wortmeldungen, die dieser Tage aus der Union zu verzeichnen sind. Immer mehr führende Unionspolitiker sprechen sich dafür aus, den Umgang mit der AfD zu ändern. „Ich bin sehr für die harte Auseinandersetzung in der Sache, für die harte Auseinandersetzung im Umgang“, so etwa Jens Spahn. „Ich glaube nur nicht, dass Geschäftsordnungstricks uns am Ende helfen“. Die AfD, so Spahn, könne sich dadurch in eine „Opferrolle“ hineinbegeben.

Die Strategie wäre eine Kehrtwende hinsichtlich der bisherigen parlamentarischen Praxis, in der die „Parteien der Mitte“, darunter auch die CDU, der AfD immer wieder entscheidende Positionen vorenthalten haben. So durfte die Partei keinen Bundestagsvizepräsidenten, auch keine Ausschussvorsitzenden stellen und bekam keine ihr eigentlich zustehenden Fördergelder für die Desiderius-Erasmus-Stiftung. Begründet wurde dies immer mit Rechtsextremismus – und der Tatsache, dass die AfD keine Partei wie jede andere sei.

Soll damit nun Schluss sein?

Der Bild hatte Spahn schon zuvor gesagt, dass er empfehle, mit der AfD bei regulären Verfahren und Abläufen im Bundestag so umzugehen wie mit den anderen Oppositionsparteien Grüne und Linke. In Bezug auf das Wahlergebnis der Bundestagswahl, bei der die AfD 20,8 Prozent und elf Millionen Zweitstimmen holte, sagte Spahn, man müsse „auch einfach anerkennen“, wie viele Millionen Deutsche die AfD gewählt haben. Der Umgang mit ihr – und damit auch der Ausschluss von parlamentarischen Positionen – führte in den vergangenen Jahren nicht dazu, dass man die Rechtspartei kleinhalten konnte.

Und: Spahn war mit seiner Meinung nicht allein. Inzwischen sprechen sich immer mehr Unionspolitiker dafür aus, anders mit der AfD umzugehen als bisher. Johannes Wadephul etwa, der Fraktionsvize von Merz, der als Außenminister der künftigen Koalition gehandelt wird, sagt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Der AfD die Ausschussvorsitze zu verweigern, hat dazu geführt, dass sie ihren Märtyrerstatus aufrechterhalten können.“ Deswegen, so Wadephul, plädiert er dafür, AfD-Kandidaten für Ausschussvorsitze zu wählen, „wenn sie in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen sind.“ Die AfD (mehr als 150 Mann stark im neuen Bundestag) sei die zweitgrößte Fraktion, „diese Realität müssen wir anerkennen“.

An der Basis brodelt es: Stefan Schneider, Bürgermeister der Stadt Großröhrsdorf, spricht neben Udo Witschas, Landrat des Landkreis Bautzen, auf einer Pressekonferenz.

Die Vorstöße von Wadephul und Spahn dürften nicht nur eine Reaktion auf das jüngste Wahlergebnis sein, sondern stehen auch im Zusammenhang mit jüngsten Kooperationen zwischen CDU und AfD. In Köln stimmte die AfD etwa einem Antrag von CDU, SPD und FDP zum überirdischen Ausbau der „Ost-West-Achse“ der U-Bahn zu – zuvor hatte es nach Informationen von NIUS auch informelle Gespräche zwischen CDU und AfD gegeben.

Im Landkreis Jerichower Land hingegen stimmte die CDU einem Antrag der AfD zu, der Schulen dazu anwies, die Deutschland-Fahne an Sekundarschulen zu hissen, die einen Flaggenmast besitzen. Im 80.000 Einwohner-Landkreis in der Altmark holte der AfD-Politiker Thomas Korell fast 40 Prozent der Erststimmen bei der Bundestagswahl; 2026 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt, die AfD gilt als Favorit auf den Wahlsieg.

Auch solche Realitäten bringen CDU-Verbände, gerade an der Basis, immer mehr zu der Erkenntnis, dass man sich nicht ewig einer Zusammenarbeit verweigern könne. Unter lokalen CDU-Mitgliedern wird zudem immer öfter Kritik laut, dass die jetzige Brandmauer den Status Quo zementiert, wonach die Union stets linke und nie konservative Politik umsetze – und damit sukzessive Wähler an die AfD verliert. Und davon abgesehen: Warum soll man sich einer gemeinsamen Absprache und Abstimmung verweigern, wenn eingebrachte Beschlüsse als sinnvoll erachtet werden und Zustimmung der Bevölkerung verweigern? Nach NIUS-Informationen wird insbesondere in Ostdeutschland der Ruf nach einem Ende der Brandmauer immer lauter.

So einfach dürfte es indes nicht werden. Kaum preschten Spahn und Wadephul vor – und der sächsische CDU-Chef Michael Kretschmer pflichtete ihnen bei („Aber die eigentlichen demokratischen Rechte, die Rechte, die jeder Abgeordnete, jede Partei in einem Parlament hat, die müssen auch für diese Partei gelten“) –, wurde Kritik an ihnen laut. „Wäre die AfD eine Oppositionspartei wie jede andere, käme Herr Spahn gar nicht auf die Idee, so was zu sagen. Ist sie aber nicht“, sagte Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner. Linken-Co-Chefin Heidi Reichinnek attestierte sogar: „Menschen wie Jens Spahn [...] sind Teil des Problems“.

Und auch parteiintern regt sich Widerstand: Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte in Bezug auf die Äußerungen von Michael Kretschmer, er „verstehe nicht, was da aus Sachsen gesagt wird“. Entscheidend sei, dass man nicht ohne Not die AfD in sicherheitsrelevante Ausschüsse hieve.

Das Konrad-Adenauer-Haus, die Zentrale der CDU – und im Vordergrund ein Plakat: „Zeit für die AfD“

Diese Äußerungen Kiesewetters decken sich mit der offiziellen Antwort aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Obzwar inzwischen zahlreiche CDU-Politiker sowohl in der öffentlichen Kommunikation als auch intern Zweifel äußern, hält das Konrad-Adenauer-Haus die Sprechregelung aus dem Wahlkampf aufrecht: „Die AfD will aus der EU, der NATO und dem Euro austreten“, heißt es in einem internen Briefing, das NIUS vorliegt. „Nichts an der AfD ist bürgerlich, nichts an dieser Partei ist konservativ. Die AfD wird nie ein Partner für die CDU sein.“

Wenn sich aber schon unionsintern Kritik regt, wie das Beispiel Kiesewetter zeigt, fällt es nicht schwer, vorherzusehen, wie die Reaktion der SPD, immerhin der Koalitionspartner der CDU, ausfallen dürfte. Für die Sozialdemokraten gehört die Brandmauer zur politischen DNA. Schon in der gemeinsamen Abstimmung im Februar sah sie einen Tabubruch – oder, wie Rolf Mützenich sagte, einen „Sündenfall“ und das geöffnete „Tor zur Hölle“.

Interessanterweise setzte sich die SPD beim Koalitionsvertrag auch insoweit durch, als sie darin die Brandmauer verschriftlichte. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Die Koalitionspartner schließen auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien aus.“ Damit dürfte die SPD die AfD meinen – und etwas gänzlich anderes im Sinn haben als die Vorstöße Spahns und Wadephuls beabsichtigen.

Kiesewetter beharrt auf der Haltung, die AfD müsse von Schlüsselpositionen ferngehalten werden.

Wer aber biblische Metaphern (wie SPD-Mann Mützenich) für einfache Abstimmungen mit der AfD bemüht – und wer so sehr auf Abgrenzung nach Rechts pocht, obwohl die Taktik scheitert –, dem dürfte das Thema heilig sein. Kaum vorzustellen, dass die SPD hier also einen Strategiewechsel der Union achselzuckend zur Kenntnis nimmt. Es dürfte spannend sein, wie eine Annäherung zwischen Union und AfD bei Sozialdemokraten rezipiert wird. Eine solche hat das Potential, den Koalitionsfrieden zu gefährden.

Auch bei NIUS: Von Straßburg bis nach Cottbus, vom Jugendclub bis zur Bezahlkarte: 12 Orte, an denen die Brandmauer bereits gefallen ist

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