
Im Wirtschaftsrecht ist die Sache einfach: Kartelle sind verboten. Das steht ganz vorne im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Dort heißt es unter dem Titel „Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen“ gleich in § 1:
„Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“
Politik ist Wettbewerb um Wählerstimmen. Man könnte denken, dass hier „eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs“ erst recht verboten sein müsste. Immerhin geht es um die Rechte des Volkes, des Wählers, des Souveräns – also um den zentralen Wert einer Demokratie.
Wir schauen nach Ludwigshafen und stellen fest: falsch gedacht.
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Die Sache, um die es geht, ist inzwischen in aller Munde: Joachim Paul, Abgeordneter der AfD im Landtag von Rheinland-Pfalz, darf bei der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen im kommenden September nicht kandidieren. Das hat der Wahlausschuss der Stadt entschieden. Einen Eilantrag von Paul, doch zur Wahl zugelassen zu werden, hat das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße als unzulässig abgewiesen.
So weit, so schlecht. Doch je mehr man über den Vorgang erfährt, desto mehr verschlimmert sich noch das Störgefühl. Denn unter der Oberfläche des Kandidaturverbots tut sich ein politischer und juristischer Abgrund auf. Es ist keine Übertreibung zu sagen:
So etwas hat die Bundesrepublik noch nicht erlebt.
Fangen wir mit dem frischeren Skandal an. Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat nicht etwa die demokratisch korrekte Durchführung der Wahl zum obersten Rechtsgut erklärt, sondern die „Beständigkeit von Wahlen“.
Deshalb müsse der ausgeschlossene Kandidat Paul die Wahl, an der er nicht teilnehmen darf, abwarten – und könne sie danach ja anfechten. Paul soll also NACH der Wahl vor Gericht klären lassen, ob er BEI der Wahl hätte antreten dürfen.
Wenn Sie, lieber Leser, diese Argumentation für ausgemachten Blödsinn halten, dann sind Sie damit nicht allein.
Warum sich das Gericht für so einen verschwurbelten und demokratiefeindlichen Quatsch hergibt, darüber wird ausgiebig spekuliert. Manche vermuten eine politische Nähe der Richter zur SPD. Das wäre angesichts des Umstands, dass sich Rheinland-Pfalz seit langer Zeit fest in der Hand der Sozialdemokraten befindet, kein völlig abwegiger Gedanke.
Andere spekulieren eher, dass die Richter einem politischen Konflikt ausgewichen sind und sich einen schlanken Fuß gemacht haben:
Sollte die Feigheit und Pflichtvergessenheit, die dieser Ex-Richter in seinem Post offenbart, in Deutschlands Justiz tatsächlich öfter vorkommen, dann kann man den Rechtsstaat für erledigt erklären.
So oder so wird Joachim Paul gegen seine Nicht-Zulassung Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz einlegen. Das muss sich allerdings beeilen, denn die Wahl ist am 21. September 2025. Sollte Paul auch beim OVG keinen Erfolg haben, ist eine juristische Hängepartie zu erwarten:
Zum Beispiel können dann in Ludwigshafen wahlberechtigte Bürger die Wahl anfechten, weil ihnen eine Wahl-Alternative genommen wurde. Und wer auch immer im September die Wahl gewinnt: Es spricht sehr viel dafür, dass er nur vorläufig zum Amtsverweser ernannt werden darf, weil die OB-Wahl höchstwahrscheinlich wiederholt werden muss. Schließlich weiß niemand, ob Joachim Paul die Wahl nicht womöglich sogar gewonnen hätte – oder zumindest, wie viele Stimmen er bekommen hätte.
Auch in Rheinland-Pfalz kann nur ein Richter einem Kandidaten das passive Wahlrecht nehmen. Eine Entscheidung eines Wahlausschusses reicht nicht. Deshalb hat der Wahlausschuss in Ludwigshafen auf einen Trick zurückgegriffen: Die Gemeindeordnung des Bundeslandes sieht als Voraussetzung für eine Kandidatur vor, dass der Bewerber „die Gewähr jederzeitigen Eintretens für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bietet“.
Bei einer juristischen Überprüfung müsste in jedem Fall auch geklärt werden, ob bei Paul – wie es der Wahlausschuss behauptet – tatsächlich ernstzunehmende Zweifel an seiner Verfassungstreue bestehen. Allein das erscheint schon mehr als fraglich, denn Paul ist Lehrer und Beamter auf Lebenszeit. Es hat keinerlei Bestrebungen gegeben, ihn aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
Schon die Vorgeschichte des Kandidaturverbots hat gezeigt, dass hier die Stadtratsparteien SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP ganz offensichtlich einen unliebsamen, weil aussichtsreichen Konkurrenten politisch killen wollen.
Die amtierende Bürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos, zuvor SPD) hatte höchstselbst beim Verfassungsschutz Material über ihren AfD-Antipoden Joachim Paul angefordert. Die Behörde untersteht weisungsgebunden dem Landesinnenminister Michael Ebling (SPD) und lieferte Material, das allenfalls für eine Satire taugt. Auszug:
„Am 18. und 19. Oktober 2024 lud Joachim Paul zu einem Bücherbasar im ‚Quartier Kirschstein‘ ein. (…) Dort stellte unter anderem das Chemnitzer ‚Antiquariat Zeitenstrom‘ diverse rechte Literatur aus.“
Das inkriminierte Antiquariat bietet, horribile dictu, einen gepflegten Ernst-Jünger-Sammlerschwerpunkt an und hat ansonsten bibliophile Klassikerausgaben wie Hugo von Hofmannsthals „Deutsches Lesebuch“ im Programm (64 Euro).
Aber wenn man um jeden Preis einen Gegenspieler ausschalten will, dann nimmt man auch sowas. Im Wahlausschuss haben die Konkurrenzparteien der AfD eine Mehrheit, und Bürgermeisterin Jutta Steinruck hat den Vorsitz. Man entschied mit Mehrheit, Joachim Paul nicht zur Wahl zuzulassen. So ein Zufall aber auch.
Einen Kandidaten von einer Wahl auszuschließen, ist ein schwerer Grundrechtseingriff. Für den braucht es echte Gründe, keine konstruierten Vorwürfe. Besonders schlimm wird die Sache dadurch, dass die Mehrheit im Wahlausschuss mit dem Kandidaturverbot für Paul ja ihre eigenen Parteien und deren OB-Kandidaten begünstigt.
Die Wahlausschuss-Mehrheit hat im weiteren Sinn also als Richter in eigener Sache entschieden – und zum eigenen Vorteil. Der sozialdemokratische Landesinnenminister Ebling nennt das Kandidaturverbot für Paul allen Ernstes einen Erfolg der „wehrhaften Demokratie“. Das ist eine geradezu atemberaubende Verdrehung der Tatsachen. In Wahrheit ist das Ganze ein Schlag ins Gesicht der Demokratie und höchstwahrscheinlich verfassungswidrig.
Ein Mitglied einer nicht verbotenen Partei, das seine Grundrechte ausübt, wird hier um eines seiner wichtigsten demokratischen Rechte gebracht – von den politischen Konkurrenten.
Wenn das kein Kartell ist: was dann?