
Rund sechs Milliarden Euro fehlen den Krankenkassen dieses Jahr. Knapp zehn Milliarden Euro zahlt der Bund zu wenig für die gesundheitliche Versorgung der Empfänger von staatlichen Transfers, vor allem Bürgergeld. Es wäre nun einfach, das Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beheben: Der Bund zahlt den Rentnern, Betrieben und Beschäftigten, die mit ihren Beiträgen die Kassen bilden, einfach das, was die für die Bürgergeld-Empfänger bezahlen.
Zu einfach. Zumindest für Steffen Kampeter. Er ist Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Er vertritt also die Interessen der Betriebe, die mit ihren Beiträgen die Krankenkassen finanzieren – und auch die Beschäftigten. Denn so ganz ohne Arbeitnehmer gäbe es halt keine Arbeitgeber. Kampeters innovativer Vorschlag: Der Bund soll die Praxisgebühr einführen. Schon wieder. Das soll die Kosten im Gesundheitswesen senken. Wie damals. Als es nicht geklappt hat. Aber dieses Mal funktioniert es. Bestimmt.
Die Praxisgebühr gab es zwischen 2004 und 2012. Zwischenzeitlich ging die Zahl der Behandlungen zwar zurück. Doch schon 2007 waren die Fallzahlen wieder so hoch wie 2003, wie seinerzeit die Ärzte Zeitung berichtet hat. Die Zahl der Überweisungen an Fachärzte stieg laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Folge der Praxisgebühr um 40 Prozent an. Sodass zwar den Kassen durch die Gebühr eine Einnahme von 6,5 Milliarden Euro entstanden ist – die aber durch die höheren Kosten aufgefressen wurden.
Für die Praxen bedeutete die Gebühr zudem entsprechenden Aufwand: Wechselgeld bereithalten und gegen Diebstahl sichern. Mehr Buchführung, kompliziertere Abrechnungen. Mahnverfahren. Verprellte Patienten – samt entsprechenden Diskussionen. Im besten Fall bedeutete die Praxis weniger Behandlungen und mehr Bürokratie. Im schlechtesten Fall ausschließlich mehr Bürokratie. Sowie chronisch Kranke, die sich nicht mehr zum Arzt trauten. Mehr Verwaltung, weniger Leistung – von der Politik erwarten viele Bürger nichts mehr anderes.
Doch der Ruf nach mehr Verwaltung und weniger Leistung kommt eben nicht aus der Politik. Er kommt von einem Vertreter der Wirtschaft. Womit Kampeter beweist, dass die Verbände längst kein marktwirtschaftliches Gegengewicht zur grünlinken Politik des Bundes darstellen – sondern sich selbst zu Polit-Kommissaren in den Kombinaten degradiert haben. Die Politik könnte den Betrieben und Beschäftigten einfach die Kosten dessen erstatten, was die für Langzeitarbeitslose bezahlen müssen. Doch mit der Forderung würde Genosse Kampeter sich für viele Berliner Party diskreditieren. Also spricht er sich für ein bereits gescheitertes, planwirtschaftliches Element aus. Wenn die Beschäftigten schon mehr für die Kassen zahlen müssen, sollen sie auch weniger dafür erhalten. Vorwärts immer, rückwärts nimmer.
312 Milliarden Euro haben die Krankenkassen laut einer Übersicht des Verbands der Ersatzkassen im vergangenen Jahr ausgegeben. Den größten Posten davon machten mit 102 Milliarden Euro die Besuche in Krankenhäusern aus. Für Arznei zahlten sie 55 Milliarden Euro. Die ambulante ärztliche Behandlung kostete demnach 50 Milliarden Euro. Fachärzte eingerechnet.
Das Einsparpotenzial der Praxisgebühr würde – selbst im besten Fall – weniger als die Hälfte dessen ausmachen, was die Kassen an Quersubvention für die Empfänger von Bürgergeld bezahlen. Der ganze bürokratische Aufwand nicht eingerechnet. Dass in der Politik viele nicht rechnen können – oder wollen – daran haben sich immer mehr Bürger bereits gewöhnt. Dass es bei den Vertretern der Wirtschaft offenbar nicht besser aussieht, lässt für die Zukunft des Standorts wenig Gutes vermuten.