
Der Rechtswissenschaftler Prof. Volker Boehme-Neßler (Universität Oldenburg) kritisiert mit harten Worten die Pläne der neuen Koalition, den Entzug des passiven Wahlrechts für Personen einzuführen, die mehrfach wegen „Volksverhetzung“ verurteilt wurden.
Die aktuelle Folge „Schuler! Fragen, was ist“ sehen Sie hier:
Im Gespräch bei „Schuler! Fragen, was ist“ sagte Boehme-Neßler: „Das ist im Grundsatz zutiefst undemokratisch. Die demokratische Idee ist, dass, wir sagen: Das Volk entscheidet. Es gibt die Diskussion, es gibt den demokratischen Diskurs, alle Ideen kommen auf die Bühne, werden diskutiert, werden kritisiert, werden offen, mutig und frei diskutiert und kritisiert. Und dann entscheiden die Wähler darüber. Das ist die Idee von Demokratie. Und wenn man dann anfängt zu sagen: Ja, diese Ideen gehen nicht und jene Ideen gehen auch nicht, in diesem Korridor kann man gerne diskutieren, alles andere ist Volksverhetzung usw. – und wer das sagt, der darf nicht mehr mitspielen, weil er verurteilt worden ist wegen Volksverhetzung, dann macht man diesen grundlegenden demokratischen Diskurs, der die Demokratie ausmacht, kaputt. Dann legt man tatsächlich die Axt an die Wurzeln der Demokratie.“
Boehme-Neßler wies darauf hin, dass im Koalitionsvertrag gleichzeitig eine Ausweitung des Begriffs der „Volksverhetzung“ enthalten sei. „Deswegen sehe ich das ganz kritisch, wenn man sagt, man will auch noch gleichzeitig die Volksverhetzung ausweiten und den Paragraphen der Volksverhetzung verschärfen und gleichzeitig an Verurteilungen wegen Volksverhetzung auch noch automatisch den Verlust der Wählbarkeit, also des passiven Wahlrechts, anhängen. Das ist eine unglaubliche Verschärfung und ein unglaublicher Eingriff in den demokratischen Diskurs. Da wäre ich mir auch nicht sicher, ob das wirklich vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte.“
Volker Boehme-Neßler im Gespräch mit Ralf Schuler.
Aus rechtlicher Sicht sei der Tatbestand der „Volksverhetzung“ schon an sich problematisch, so der Professor für öffentliches Recht. „Der Paragraph der Volksverhetzung ist, ohnehin auch nicht ganz unproblematisch. Da geht es ja einmal darum, dass man hetzt, und das Hetzen muss aber auch noch so sein, dass der öffentliche Friede gefährdet wird. Das fällt bei manchen Urteilen unter den Tisch. Nicht jede Hetze ist strafbar und erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung. Das ist nur dann der Fall, wenn sie so schlimm ist, dass sie zum Beispiel zu Gewaltausbrüchen führen kann. Dass sie sozusagen tatsächlich ernsthaft den öffentlichen Frieden gefährdet.“
Alles in allem, so der Jurist, seien die Pläne der neuen Koalition aus seiner Sicht sehr problematisch. „Der Gesetzgeber weiß schon, dass der Volksverhetzungsparagraph ein schwerer Eingriff in die Meinungsfreiheit ist. Wenn man aber den Volksverhetzungsparagraphen erweitert und gleichzeitig einen Automatismus schafft, dass man bei zweimal Volksverhetzung die Wählbarkeit verliert, dann ist das eine extreme Verschärfung der Rechtslage und ein harter Eingriff in die Meinungsfreiheit.“